Von heiligen und unheiligen Taten

Es geschah an einem Sonntag, kühl, bewölkter Himmel – kein Wetter zum Draussensein. Also arbeitete ich, um die frische Luft wieder geniessen zu können, wenn die Sonne scheint; als Selbständigerwerbende habe ich diese Freiheit.

Ich bin nur kurz zur Post gegangen, um einen Brief einzuwerfen, und unterwegs Adrian*, einem Bekannten, begegnet. Nach etwas Pflichtkonversation habe ich mich verabschiedet mit den Worten: „Ich will zurück an meine Arbeit.“
Da schaut er mich empört an und meint von oben herab: „Das würde ich nie tun, am heiligen Sonntag arbeiten! Das gehört sich nicht.“
Was ist das denn? denke ich bei mir. Adrian ist nicht religiös oder gläubig und ich schätze ihn nicht als jemand ein, der sich an Konventionen hält.
Ich erkläre ihm also, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob ich arbeite oder „den Sonntag durch Gebet heilige“, mir ist jeder Tag und jede Tätigkeit heilig, es kommt darauf an, mit welcher Gesinnung man es tut.
Er scheint nicht zu verstehen, was ich meine, also verabschiede ich mich nochmals – diesmal mit einer konventionellen Floskel, um ja nicht eine weitere Reaktion zu provozieren.

Ich will mich nicht lange darüber auslassen, warum Menschen ungeprüft und unkritisch Normen und Regeln übernehmen, die zum Teil aus grauer Vorzeit stammen und von denen man manchmal gar nicht mehr weiss, warum sie seinerzeit ausgegeben wurden; ich zitiere dazu nur den Refrain eines Liedes von Konstantin Wecker:

Nur die sich misstraun
brauchen Normen zum Sein
und verteiln als Schuld,
was sie sich nicht verzeihn.
Doch wie immer sie dich
auch schuldig schrein,
nur du hast das Recht,
dein Richter zu sein.

Aber einige Gedanken über die “richtige” Art zu handeln, egal ob am Sonntag oder am Werktag, will ich niederschreiben. Diese “richtige Handlungsweise” lässt sich mit vier Zitaten aus der Bhagavad Gita zusammenfassen, es ist die Essenz des Karma Yoga:

Nicht indem er Taten unterlässt, erfreut sich der Mensch der Tatenlosigkeit; er erlangt die Vollkommenheit nicht, indem er auf Taten verzichtet.
Bhagavad Gita III, 4

Deshalb vollbringe ohne Anhaftung stets das, was zu tun ist; indem er ohne Anhaftung handelt, erlangt der Mensch das Höchste.
Bhagavad Gita III, 19

Wer frei von Anhaftung handelt und sein Wirken im Brahman [= das Göttliche, das Absolute] begründet, wird nicht von Sünde befleckt, ebenso wenig wie das Wasser am Lotosblatt haftet.
Bhagavad Gita V, 10

Du hast ein Recht auf das Handeln, aber nur auf das Handeln, niemals auf dessen Früchte; lass nicht die Früchte deines Wirkens dein Beweggrund sein, noch lass Anhaftung zur Tatenlosigkeit in dir zu.
Bhagavad Gita II, 47

Wir sollen im jeden Augenblick tun, was gerade zu tun ist, dabei unser Handeln dem Göttlichen weihen; wir vollbringen alle Werke ohne Anhaftung, wir tun also nichts, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen, sondern nehmen jedes Ergebnis unseres Wirkens gleichmütig an.

Wenn ich demgemäss meine profane Arbeit an einem “heiligen Sonntag” gleichmütig tue, weil sie gerade zu tun ist, sei das nun Wäschebügeln oder ein Essay schreiben am Computer, ohne dafür Anerkennung, Lob oder Geld zu erwarten (was kommt, nehme ich dankbar an), sondern einfach weil es in diesem Moment meine Aufgabe ist – so ist dieses Werk nicht mehr und nicht weniger wert, als wenn ich meditiere, bete oder den Sonntag in Musse verbringe. Und in dieser Weise soll ich jeden Tag, in jedem Augenblick handeln – stets gleichmütig tun, was gerade ansteht, ohne das eine dem anderen vorzuziehen und ohne “Früchte” dafür ernten zu wollen. In diesem Sinne gibt es keine “richtigen” oder “falschen” Taten, keine “heiligen” oder “unheiligen” – es kommt einzig darauf an, ob wir sie für uns selbst verrichten oder für das Göttliche. So einfach ist das Leben!

* Name aus Diskretionsgründen geändert.

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