Die Verantwortung abgeben

Möchten wir das nicht alle? Jemanden haben, der uns in jedem Augenblick sagt, was wir tun und was wir lassen sollen – vorausgesetzt er besässe die absolute Wahrheit und wüsste wirklich, was richtig und was falsch ist… und wir nicht mehr selbst für unser Tun die Verantwortung tragen müssten.

Es war einmal ein guter König, der stets um das Wohl seines Reiches und seiner Untertanen besorgt war. Doch diese Pflichten und die Verantwortung, die er trug, zehrten an ihm; oft verbrachte er schlaflose Nächte vor lauter Sorge, falsche Entscheidungen zu treffen oder nicht genug zu tun, um Unheil von seinem Land abzuwenden.
Als er immer betrübter und erschöpfter davon wurde, vertraute er sich einem Weisen an, der in einer Waldeinsiedelei lebte.
„Wenn deine Aufgabe dich so sehr belastet, solltest du jemanden finden, der sie dir abnimmt“, riet ihm der Einsiedler. Der König antwortete: „Es ist nicht einfach, ein gerechter Herrscher zu sein; wen könnte ich damit beauftragen?“
Als der Weise sich anerbot, diese Pflicht zu übernehmen, war der König hocherfreut, konnte er sich doch niemanden vorstellen, der besser dafür geeignet wäre. Feierlich sagte er zu ihm: „Ich übergebe dir mein Reich“, und fühlte bei diesen Worten, wie alle Last von ihm abfiel. Dann verfinsterte sich sein Blick und er meinte stirnrunzelnd: „Doch was soll ich jetzt tun? Ich muss mir eine neue Aufgabe suchen…“
Der Einsiedler sprach ihm Mut zu: „Bei deinen Fähigkeiten, wirst du bestimmt das Passende finden.“ Dann fügte er hinzu: „Wenn du jetzt in deinen Palast gehst, um deine Minister von unserer Vereinbarung in Kenntnis zu setzen, überbringe ihnen bitte die folgende Botschaft von mir: Sie sollen sich gleich darum bemühen, jemanden zu finden, der die Tagesgeschäfte für mich erledigt.“
Erstaunt wandte der König ein: „Willst du das denn nicht selbst tun?“
Der Weise schüttelte den Kopf: „Nein, ich bin ein Asket, ich kann nicht im Palast wohnen; ich werde von hier aus regieren und meinem Stellvertreter Anweisungen geben. – Übrigens: wärst du nicht interessiert an dieser Arbeit? Mit deiner Erfahrung als König bist du doch bestens dafür geeignet…“
Sofort erklärte sich der König dazu bereit und der Einsiedler trug ihm auf: „Handle immer, wie du es für richtig hältst; störe mich nicht unnötig, wirklich nur wenn du ein Problem nicht selber lösen kannst.“
So kehrte der König in seinen Palast zurück und herrschte als Stellvertreter des Weisen. Die Arbeit machte ihm Freude – spürte er doch nicht länger die Last der Verantwortung. Und es hatte sich äusserlich überhaupt nichts geändert…

Wie schön, die Verantwortung einfach abzugeben und unbekümmert zu handeln! Und dabei dennoch alles so gut wie möglich erledigen – das versteht sich –, aber ohne diese Belastung, wir könnten etwas falsch machen, es könnte schief herauskommen…
Wir können die Verantwortung für unser Leben und unser Handeln abgeben – an das Göttliche. Und dann leicht und sorgenlos leben, im Vertrauen, dass Es schon das Richtige daraus entstehen lässt.

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5 Gedanken zu “Die Verantwortung abgeben

  1. 🙂 Ist eine super Idee. Hatte vor Jahren auch schon ein fast ähnliches Problem (grosse Last auf meinen Schultern als Abteilungsleiterin und wenig Hilfe). Das Problem löste sich aber von selbst, weil ich die Firma verliess. Ich hatte leider keinen Weisen, der mir geraten hätte, dies oder jenes zu tun. Nur auf Gott vertrauen fällt mir manchmal schwer. Es gibt so viele Fälle, wo ich mir sagen musste: „Wo ist die Gerechtigkeit Gottes?“.

    LG Romana

  2. Liebe Romana

    Ja, es ist manchmal schwer, zu vertrauen und daran zu glauben, dass alles einen Sinn hat…

    Aber haben wir denn eine andere Möglichkeit? Das Leben wird nicht leichter, wenn wir hadern, grübeln…
    Ich glaube „die Gerechtigkeit Gottes“ dürfen wir einfach nicht mit zu kurzsichtigem und zu engem Blick suchen und nicht mit unserem menschlichen (begrenzten) Verstand und unserer eigenen Vorstellung davon beurteilen.

    Liebe Grüsse,
    Karin

  3. Liebe Carine

    Die Geschichte stammt aus Indien, wahrscheinlich eine alte, traditionelle, aber ich weiss nicht mehr, woher ich sie habe, möglicherweise aus einem englischen Buch. Sie stammt aber keinesfalls aus der Bhagavad Gita, das kann ich mit Gewissheit sagen.

    Herzlichst,
    Karin

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