Der „heilige Mann“ und der Sünder

Wieder einmal eine Geschichte aus dem alten Indien. Viel Freude beim Lesen!

Gott schickte den heiligen Narada zur Erde, um fromme Menschen aufzusuchen. Als erstes begegnete er einem alten Asketen; dieser erzählte ihm, nicht ohne Bitterkeit, er hätte 80 Jahre lang die strengsten Praktiken und härteste Selbstdisziplin ausgeübt, aber ohne besonderen Erfolg. Als Narada ihm eröffnete, er sei ein Bote Gottes, sagte ihm der Asket: „Wenn du also Gott das nächste Mal siehst, frag ihn, warum er mich trotz meines frommen Lebens bis jetzt nicht erhört hat.“ Narada versprach es ihm und ging weiter.
Er rastete an einem Ort, wo ein junger Mann versuchte einen Zaun zu bauen; er war aber stockbetrunken und fluchte, weil es ihm nicht gelang, die Pfähle in die Erdlöcher zu rammen. Narada bot ihm seine Hilfe an, aber der Betrunkene erwiderte, er werde nur die persönliche Hilfe Gottes annehmen, seines Freundes, der Verstecken mit ihm spiele und sich davor drücke, ihm bei der Arbeit zu helfen! Narada war empört über diese Gotteslästerung und gab sich zu erkennen. Da forderte der junge Mann ihn auf, Gott zu fragen, warum er ihn bisher nicht besucht habe, obwohl er doch schon so lange auf ihn warte.
Nachdem Narada zu Gott zurückgekehrt war, erzählte er ihm, was er mit dem Asketen und dem Betrunkenen erlebt hatte. Gott, der die beiden natürlich kannte, äusserte sich liebevoll über den jungen Mann und bekräftigte seine Weigerung, sich dem Asketen zu zeigen. Narada wunderte sich sehr darüber.
Um ihm zu beweisen, wer von den beiden der wahre Suchende sei, schickte Gott Narada nochmals auf die Erde und trug ihm auf, beiden folgende Botschaft zu überbringen: „Gott ist momentan damit beschäftigt, Millionen von Elefanten durch Nadelöhren zu zwängen. Aber wenn er damit fertig ist, wird er dich besuchen.“
Narada überbrachte die Nachricht zuerst dem Asketen. Dieser erzürnte sehr und schrie: „So ein Blödsinn, Elefanten durch Nadelöhren zwängen! Ihr macht euch nur über mich lustig und er wird nie zu mir kommen – oder vielleicht gibt es gar keinen Gott und ich habe mein Leben mit Busse und Enthaltsamkeit verschwendet!“ Er warf alles hin und machte sich auf, die versäumten Genüsse des Lebens nachzuholen.
Narada war schockiert und beeilte sich, den jungen Mann aufzusuchen und ihn mit der gleichen Botschaft zu konfrontieren. Als dieser Gottes seltsame Aussage hörte, machte er Luftsprünge vor Freude und rief: „Gott hat mich erhört, er wird zu mir kommen! Was hat es schon zu bedeuten, dass er Millionen von Elefanten durch Nadelöhren zwängt: Mit Seiner Allmacht kann er das in einer Sekunde tun! Und dauerte es auch eine Ewigkeit, sein Versprechen genügt mir: Er wird zu mir kommen, irgendwann!“

Artikel teilen auf:
Facebooktwitter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert