Ethik und Moral, Normen und Regeln

Gebote, Verbote, Normen und Regeln sind nicht sinnlos: Sie hindern das Individuum daran, sein Ego hemmungslos walten zu lassen, und ermöglichen erst das Zusammenleben in einer Familie, Sippe, Stadt, Nation – in jeder Gemeinschaft.
Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass alle diese Vorschriften zeit- und ortsabhängig sind und nicht einem für alle Ewigkeit und die ganze Welt gültigen, sakrosankten Gesetz entsprechen. Auch was wir als Ethik und Moral bezeichnen ist nicht minder auf Region und Epoche beschränkt: So galt (und gilt) beispielsweise die Blutrache in gewissen Gegenden als legitim, gar als ehrbare Pflicht, während wir in Westeuropa sie heute als eine barbarische Sitte verurteilen.
Als spirituell Suchende, deren Ziel es ist, das Ego zu überwinden, dürfen und sollen wir auch die „allgemein anerkannte“ Ethik und Moral, die in Kraft stehenden Gebote und Verbote, die ausgesprochenen oder stillschweigend festgeschriebenen Normen und Regeln hinterfragen. Unser einziger Gesetzgeber, unser alleiniger Richter soll unsere innere Stimme sein, die Stimme unserer Seele, die weiss, welches Verhalten im jeweiligen Augenblick für uns und unsere Mitmenschen das „richtige“ ist.

Dazu noch eine Geschichte aus Indien:

Ein spiritueller Meister war mit seinen Schülern auf einem offenen Ochsenkarren unterwegs. Er wollte sich etwas ausruhen und legte sich hin, nachdem er den Jüngern aufgetragen hatte: „Passt gut auf, wenn wegen der holprigen Landstrasse etwas vom Wagen fallen sollte.“
Als er nach einer Weile aufwachte und um etwas zu trinken bat, teilten die Schüler ihm mit, der Wasserbehälter sei hinunter gefallen. Der Meister schimpfte mit ihnen, aber sie erwiderten: „Wir haben aufgepasst! Es passierte genau an der letzten Weggabelung.“
Geduldig erklärte ihnen der Meister, wenn etwas hinunterfalle, sollten sie es aufheben, und legte sich wieder schlafen. Nach kurzer Zeit wachte er wegen eines fürchterlichen Gestanks auf: Die Jünger hatten den Mist des Ochsen aufgehoben und auf den Karren geladen!
Nun erstellte der Meister eine Liste mit allem Wichtigen, das sich auf dem Wagen befand und nicht verloren gehen dürfe, übergab das Schriftstück seinen Schülern und schlief erneut ein.
Als der Karren später in ein tiefes Schlagloch fuhr, fiel der Meister hinunter auf die Strasse. Die Schüler schauten auf die Liste – und weil „Meister“ nicht darauf stand, liessen sie ihn liegen und fuhren ohne ihn weiter.

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