Fragen zu Urvertrauen und Gleichmut

Interview mit Karin Jundt über Karma YogaLetzte Woche erschien in einigen Schweizer Regionalzeitungen ein Interview mit mir über Karma Yoga. Das Interview hat Gabriele Spiller (GS) geführt, der ich auch an dieser Stelle nochmals herzlich für das bereichernde Gespräch danke.

Das gesamte Interview könnt ihr als PDF-Datei herunterladen.
Die Antworten zu einigen der mir gestellten Fragen will ich nachfolgend noch etwas vertiefen.

GS: Der erste Pfeiler des Karma Yoga besteht im Urvertrauen. Gerade heute sind die Menschen angesichts der Komplexität des Alltags aber sehr verunsichert.
Diese Verunsicherung ist nichts Neues, früher lag sie nur in anderen Herausforderungen, beispielsweise in Missernten und der Willkür der Herrschenden.
Ich gehe oft so weit zu sagen, dass wir überhaupt keinen Einfluss auf unser Schicksal haben, und stosse dabei nicht selten auf Widerspruch. Doch diese Erfahrung haben wir ja alle schon gemacht: Wir bemühen uns, ein Ziel zu erreichen, setzen alles daran, die Vorzeichen sind günstig – und dennoch scheitern wir. Auf der anderen Seite fallen uns manchmal die gebratenen Tauben nur so in den Schoss, ohne dass wir uns angestrengt haben.
Auch sind wir dem Schicksal völlig ausgeliefert, etwa was Tod und Krankheiten betrifft. Ebenso wenn andere Menschen involviert sind, da wir ihnen nicht unseren Willen aufzwingen können, beispielsweise wenn mein Partner mich verlässt oder mein Arbeitgeber mich entlässt.
Wir wünschen und planen zwar, aber was schliesslich daraus entsteht, entzieht sich unserer Macht. Deshalb ist Urvertrauen so wichtig. Wir haben im Grunde genommen gar keine andere Wahl. Entweder wir hadern mit dem Schicksal, verbittern, kämpfen gegen Windmühlen, versinken in Selbstmitleid – oder wir vertrauen darauf, dass immer alles nur zu unserem Besten geschieht, dass wir in dieser Lebensschule geführt und getragen sind. Dass alles einen Sinn hat, selbst wenn wir ihn nicht unmittelbar erkennen.

GS: Der schwierigste Aspekt scheint mir, uneingeschränkt an den höheren Willen zu glauben, der alles sinnvoll lenkt.
Die meisten Menschen glauben an ein Göttliches in irgendeiner Form, mir sind in meinem Leben selten echte Atheisten begegnet. Viele haben jedoch Mühe mit dem Gott, der ihnen als Kind vermittelt wurde. Dazu hat Tolstoi etwas Treffendes gesagt: „Wenn in dir der Gedanke aufkommt, dass alles, was du über Gott dachtest, falsch ist und dass es keinen Gott gibt, so lass dich dadurch nicht verunsichern. Es geht allen so. Meine aber nicht, dein Unglaube rühre daher, dass es keinen Gott gibt. Wenn du nicht mehr an deinen früheren Gott glaubst, so liegt es daran, dass an deinem Glauben etwas falsch war, und du musst versuchen, besser zu begreifen, was du Gott nennst. Wenn ein Wilder aufhört, an seinen hölzernen Gott zu glauben, so bedeutet das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass er nicht aus Holz ist.“
Es ist zugegebenermassen manchmal nicht leicht, an einen weisen, allmächtigen, liebenden Gott zu glauben, wenn man sieht, was auf der Welt geschieht, wie viele Menschen leiden. Aber: Wenn wir an eine höhere Macht in welcher Form auch immer glauben, liegt es dann nicht nahe, dass dieses Höhere einen besseren Überblick über das Weltengeschehen hat als wir und weiss, was es tut? Und ist es nicht anmassend, wenn wir meinen, mit unserem unvollkommenen menschlichen Geist verstehen zu können, was dieses Höhere mit der Welt, wie sie ist, bezweckt?
Doch mir liegt es fern, jemanden bekehren zu wollen. Jeder Mensch muss der Wahrheit vertrauen, die in ihm selbst anklingt. Dann wird der persönliche Glaube zu einem Wissen, und nur dann können wir auch danach leben. Alle anerzogenen oder aufgezwungenen Dogmen sind sinnlos, sie führen nur zu Scheinheiligkeit und Heuchelei.

GS: Unser Gleichmut, die dritte Säule des Karma Yoga, wird ja häufig auf die Probe gestellt. Warum passiert gerade mir das, und warum gerade jetzt?
Die Frage nach dem Warum stellen wir uns tatsächlich immer wieder. Präziser muss sie lauten: „Was will mich dieses Ereignis lehren?“ Der Sinn des Lebens scheint in der Evolution zu liegen, allerdings nicht nur in der physichen, sondern vor allem in der geistigen. So ist das Leben selbst unsere Schule, in der wir lernen und uns zur Vollkommenheit hin entwickeln – spirituell ausgedrückt: zur Gottesverwirklichung oder Erleuchtung oder wie man es nennen will.
Daher werden wir – und hiermit ergänze ich auch die vorangehende Frage nach der sinnvollen Lenkung des Universums – an die Erfahrungen herangeführt, durch die wir etwas lernen können. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg, jeder Mensch hat seine eigenen Lektionen zu lernen. Deshalb haben nicht alle Menschen auf der Welt das gleiche Schicksal.
Was auch immer auf uns zukommt, das Urvertrauen sagt uns: „Das Göttliche wird schon wissen, warum mir das jetzt geschieht. Und ich bemühe mich, die Lektion zu verstehen.“
Der Gleichmut ist dabei ebenfalls unerlässlich, denn er hilft uns, das sogenannt Angenehme und das sogenannt Unangenehme gleichermassen zu akzeptieren. In der Bhagavadgita, einer heiligen hinduistischen Schrift, heisst es: „Wer Glück und Leid, Gold und Schlamm und Stein als gleichwertig betrachtet; wem das Angenehme und das Unangenehme, Lob und Tadel, Ehre und Schande, der Kreis der Freunde und der Kreis der Feinde eins sind; wer beständig in einer weisen, unerschütterlichen und unwandelbaren in­neren Ruhe und Stille weilt; wer keine Tat anstrebt – dieser Mensch steht über dem Wirken der Natur.“ (Bhagavadgita XIV, 24 f.) Es geht also darum, nicht zu werten: Die Dinge sind an sich weder gut noch schlecht, erst durch unsere Bewertung machen wir sie zu etwas Erwünschten oder etwas Verhasstem.
Gelingt es uns, mehr Gleichmut zu entwickeln, so leben wir gesamthaft zufriedener. Denn in 95 Prozent unseres Alltags reiben wir uns an Banalitäten, etwa dass das Wetter schlecht ist, wenn wir wandern gehen wollen, oder dass die Kinotickets für einen Film schon ausverkauft sind, oder dass das Essen im Restaurant nicht unseren Erwartungen entspricht und und und. Diese Alltagssituationen mit Gleichmut anzunehmen ist nicht allzu schwer, haben wir die Einsicht einmal gewonnen. Und es ist die richtige Übung für den Fall, dass uns einmal ein wirklich schwerer Schicksalsschlag trifft.

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