Sterben – oder sterben sehen

Ein Freund erzählte mir neulich ziemlich betroffen vom Tod einer gemeinsamen Bekannten. Noch bevor ich etwas dazu sagen konnte, fügte er hinzu: „Sterben – oder sterben sehen.“

In der Tat ist es so. Solange wir selbst nicht gestorben sind, bleibt es uns nicht erspart, von Zeit zu Zeit den Tod eines Menschen aus unserem Umfeld mitzuerleben. Je näher er uns steht, desto mehr trifft es uns.
Und damit wird uns immer auch unsere eigene Endlichkeit vor Augen geführt. Manchmal ist es ein Schock, es macht uns nachdenklich, vielleicht nehmen wir uns sogar vor, an unserem eigenen Leben jetzt etwas zu ändern. Doch meistens hält diese Bewusstwerdung des eigenen irgendwann bevorstehenden Todes nicht an. Schade…

Die folgende persische Geschichte soll uns daran erinnern.

Ein Mann bat den Todesengel Azrael, ihm rechtzeitig Bescheid zu sagen, bevor er ihn abholen würde. Dieser versprach es.
Eines Tages erschien er aber unvermittelt und teilte dem Mann mit, dass es am nächsten Tag so weit sei.
Der Mann war entsetzt: „Das kann nicht sein! Du hast mir doch zugesagt, mich beizeiten darüber zu informieren!“
Azrael antwortete: „Ich habe dir genügend Zeichen gegeben! Als dein Vater ins Jenseits ging, hast du es nicht verstanden; wie ich deinen Bruder, deinen Nachbarn und deinen Freund, einen nach dem anderen, holte, hast du nichts gelernt. Nun bist du morgen dran.“
Als der Mann am darauffolgenden Tag in Begleitung des Todesengels in die andere Welt hinübertrat, begegneten ihnen viele, viele verstorbene Menschen, und alle beklagten sich laut: „Warum hast du uns nicht rechtzeitig Bescheid gesagt? Wir hätten noch so viel zu erledigen gehabt…“

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2 Gedanken zu “Sterben – oder sterben sehen

  1. Grüss dich Karin, die Geschichte liess mich sogleich an meinen vor Jahren vollzogenen Wandel denken: nach Tibetischer Manier Abends zu Bett gehen und sinnbildlich die Tasse sauber und umgekehrt auf den Unterteller stellen. Soll heissen: am Ende jedes Tages nichts wichtiges unerledigt lassen, nichts wesentliches aufschieben und niemandem die Bürde aufladen, hinter mir her aufräumen zu müssen.
    Eine wahrlich wundersam Erfüllung, Zufriedenheit und Leichtigkeit schenkende Lebensweise! ich bin jeden Tag sehr dankbar dafür-
    Trotzdem: die Zeiten in denen ich von mir behaupten könnte dass ich jederzeit bereit wäre zu „gehen“, sind eher selten….
    Ist es das Ungewisse, ist es das noch etwas auskosten wollen, ist es das nicht verabschieden wollen von all dem Liebgewonnenen?, ich weiss es nicht, hinterfrage es auch nicht dauernd, lass dies einfach sein und lebe in der Gegenwart, so lange sie ist und wie auch immer sie sich mir darbietet- wenigstens meistens…. 😀
    Bis bald, mit liebem Abendgruss, Jasmin

  2. Hallo Jasmin!
    Das ist ein schönes Bild mit der Tasse – und noch schöner wenn man es wirklich in seinem Alltag umsetzt.
    Ich stelle bei mir fest, dass je glücklicher ich in dieser Welt bin, desto mehr missfällt mir der Gedanke zu „gehen“. Das ist wohl normal, es sollte aber nicht sein.
    Danke, dass du mich daran erinnert hast! Ich werde versuchen, in Zukunft wieder gleichmütiger und achtsamer zu sein.
    Alles Liebe für dich,
    Karin

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