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Artikelserie Karma-Yoga von Karin Jundt, erschienen in der Zeitschrift Vitasana in den Jahren 2009/2010

 

Artikelübersicht
Der (spirituelle) Weg unseres Alltags
Das Nicht-Handeln im Handeln
Gleichmut: der Schlüssel zur Zufriedenheit
So gut ich nur kann!
Selbstwertgefühl und Selbstliebe
Urvertrauen und Hingabe
Höherer Wille und egoisches Wollen
Die innere Stimme als Wegweiser im Alltag
Ängste – das grösste Hindernis für ein glückliches Leben
Die Weisheit der Bhagavad Gita

 

Der (spirituelle) Weg unseres Alltags
Den Begriff Karma verbinden wir meistens mit unserem Schicksal, in dem Sinne, dass gute Taten zu einem guten und schlechte zu einem schlechten Karma oder Schicksal führen, wobei die Konsequenzen im gegenwärtigen oder in künftigen Leben auf uns zurückkommen. Karma ist indes Sanskrit und bedeutet erst einmal Tat, Handlung.
Auch der Begriff Yoga hat eine umfassendere Bedeutung als die bei uns landläufig bekannte. Wir verstehen darunter oft nur das "Yoga der Körperhaltungen" (Hatha Yoga) und betreiben es zur Entspannung oder um die Beweglichkeit des Körpers zu fördern; in Indien hingegen ist es ein spiritueller Weg, zu dem auch Askese, Keuschheit, Verzicht auf Besitz, Meditation und mehr gehören. Yoga (Sanskrit) stammt aus der Wurzel yuj, die „verbinden, vereinigen“ bedeutet; so bezeichnet Yoga jeden spirituellen Weg, der uns mit dem Göttlichen – in uns oder ausserhalb – verbindet. Die drei Yoga-Formen, die in der Bhagavad Gita, einer der heiligen Schriften Indiens, beschrieben werden, sind: Jnana-Yoga (Yoga des Wissens/der Erkenntnis), Bhakti-Yoga (Yoga der liebenden Hingabe) und Karma-Yoga (Yoga des Handelns).
Alle östlichen spirituellen Wege fordern eine intensive Hingabe, sowohl inhaltlicher als auch zeitlicher Natur – vor allem die Zeit fehlt uns westlichen Menschen, wir können oder wollen uns nicht jeden Tag viele Stunden lang der Meditation und anderen Praktiken widmen. Deshalb scheint das Karma-Yoga wie für uns gemacht: Der gewöhnliche Alltag selbst wird dabei zum Yoga, wir können es in jeder Lebenslage und Situation ausüben.
Nach hinduistischer und buddhistischer Vorstellung können wir dem Kreislauf der Widergeburten nur entkommen, wenn wir gar nicht mehr handeln – denn jede Tat hat eine Wirkung. Auch wenn wir ausschliesslich "gut" handeln, werden wir wiedergeboren, um die positiven Folgen unserer Taten in einer angenehmen Existenz zu erleben. Somit scheint die endgültige Erlösung unmöglich, denn wie könnten wir uns, solange wir im Körper weilen, jeglicher Tat enthalten? Zumindest ernähren müssen wir uns... Ein Ausweg fand man in der Askese, in einem Leben als Einsiedler oder Bettelmönch, der weitest gehend auf alles verzichtet. Eine andere Lösung bot das Karma-Yoga, dessen grundlegende Erkenntnis lautet:  „Du hast ein Recht auf das Handeln, aber nur auf das Handeln an sich, niemals auf dessen Früchte.“ (Bhagavad Gita II,47)

Was heisst das ganz konkret für unser Alltagsleben? Es geht darum, uneigennützig, selbstlos zu handeln, und zwar bei jeder Tat, von der nebensächlichsten bis zur gewichtigsten. Wenn wir durch unsere Taten kein Ziel verfolgen – also keine „Früchte“ dafür ernten wollen –, laden wir uns kein Karma auf, das wir in Zukunft abtragen müssten. Und diese Lebensweise verhilft uns auch zu einem glücklicheren Dasein! Wie wir das praktisch angehen und welche Erkenntnisse und Eigenschaften wir dazu benötigen, wird in den kommenden Ausgaben von vitasana erläutert.

 

Das Nicht-Handeln im Handeln
Der Kern des Karma-Yoga lässt sich als Nicht-Handeln im Handeln definieren; man spricht zuweilen von uneigennützigem oder selbstlosem Handeln. Darunter dürfen allerdings nicht altruistische, gemeinnützige Tätigkeiten verstanden werden, also gute Taten für unsere Mitmenschen, zum Wohl der Gesellschaft – dabei würden wir nämlich immer noch mit einer bestimmten Absicht handeln. Treffender bezeichnet man deshalb den Grundgedanken des Karma-Yoga als nicht-zielgerichtetes Handeln.
Mit allem, was wir tun, verfolgen wir in der Regel ein Ziel: Wir arbeiten, um Geld zu verdienen; wir treiben Sport, damit unser Körper fit und gesund bleibt; wir treffen Freunde, weil wir gerne mit ihnen zusammen sind. Selbst die edelsten Taten dienen einem Zweck: Wir spenden, um den Armen zu helfen; wir meditieren und bemühen uns, damit wir die Erleuchtung erlangen. Jede unserer Handlungen beruht auf einem "Weil", „Damit“ oder "Um zu".
Uneigennützig handeln heisst hingegen: Der Sinn liegt im Wirken selbst, nicht in den Ergebnissen. In der Bhagavad Gita, einer der heiligen Schriften Indiens, sagt der Höchste Gott, wir sollen gleichmütig gegenüber Erfolg und Misserfolg nicht um der Früchte willen handeln, sondern jede Tat dem Göttlichen weihen.
Natürlich ist es für uns schwierig, ganz absichtslos zu handeln: Es versteht sich, dass wir beispielsweise für unsere Arbeit entlöhnt werden wollen, weil wir damit die Miete, die Krankenkasse und vieles mehr bezahlen müssen. Das ist auch absolut gerechtfertigt. Karma-Yoga plädiert nicht dafür, dass wir uns ausnützen lassen, im Gegenteil. Aber fangen wir doch wenigstens damit an, bei unseren Alltagshandlungen die Erwartungen loszulassen. So lebt es sich viel leichter! Indem wir nämlich unser Wirken dem Göttlichen übergeben, legen wir auch die Verantwortung für das daraus Entstehende in Seine Hände. Ich tue was ich kann, bemühe mich, gebe mein Bestes; die Bürde, ein bestimmtes Ergebnis erbringen zu müssen, gebe ich dabei jedoch ab.
Diese Erkenntnisse konkret in den Alltag umgesetzt, bedeutet: Ich tue immer das, was gerade zu tun ist, was meine Aufgabe ist oder sich zu tun anbietet, ohne eine Tätigkeit der anderen vorzuziehen, und ich strebe nicht bestimmte Ergebnisse an, sondern weihe jede Tat dem Göttlichen und lasse dann los. Unser Leben gestaltet sich freudiger, wenn wir aufhören, uns der Tyrannei von Lust und Unlust zu unterwerfen und einfach immer tun, was gerade ansteht. Und viel sorgloser, sobald wir uns bewusst sind, dass wir nur handeln, aber nichts zum Ausgang unseres Wirkens beitragen, die Verantwortung dafür also nicht auf uns lastet. Es kommt stets, wie es der Höhere Wille bestimmt, und wie es auch kommt, ist es immer gut für alle Beteiligten – „gut“ in einem übergeordneten Sinn, nämlich gut für die innere Entwicklung.

Die Pfeiler dieser Lebenseinstellung sind vor allem Urvertrauen, Selbstwertgefühl und Gleichmut; in den kommenden Ausgaben von vitasana lesen Sie mehr darüber.

 

Gleichmut: der Schlüssel zur Zufriedenheit
Wir meinen, unser Leben bis zu einem gewissen Grad im Griff zu haben und durch Willenskraft, Bemühen, Strebsamkeit das Erwünschte erlangen und das Unerwünschte abwenden zu können. Andererseits haben wir alle schon die Erfahrung gemacht, dass es trotz aller Anstrengungen nicht so herauskommt, wie wir es gerne hätten. Ein anderes Mal lassen wir es schlittern, tun nur das Nötigste und der Erfolg stellt sich ein. Ganz zu schweigen vom "Schicksal", das unsere Pläne völlig unerwartet zunichte machen kann.
Tatsache ist: Wie wir auch handeln, es kommt immer so heraus, wie der Göttliche Wille (oder Kosmische Plan) es vorsieht. Dennoch: Wie vieles möchten wir doch so gerne! Einen sicheren Arbeitsplatz, ein schönes Haus, gutes Wetter am Wochenende, am Morgen ein Stündchen länger schlafen... Und wie vieles fürchten wir und wollen es partout vermeiden! Krankheit, Schmerz, Sorgen, Armut...
Um nach dem Kerngedanken des Karma-Yoga zu leben, also handeln, ohne eine Absicht damit zu verfolgen, müssen wir unsere Wünsche und unsere Ängste loslassen. Dabei sollte uns die Einsicht helfen, dass sie ohnehin nichts an dem ändern, was uns gegeben und was uns vorenthalten wird! Eine weitere grundlegende Erkenntnis ist: Die Dinge und Ereignisse an sich sind neutral, erst unsere Bewertung macht sie zu erwünschten oder unerwünschten. Ständig teilen wir alles ein in gut und böse, schön und hässlich, angenehm und unangenehm, lustvoll und leidvoll; daraus folgt, dass wir das eine möchten und das andere ablehnen. Diese Wertungen machen uns das Leben unnötig schwer. Wie können wir diese aber vermeiden?
Gleichmut ist die Antwort. Gleichmütig sollen wir in unserem Alltag annehmen, was auch immer auf uns zukommt. Am besten lässt sich das an "Kleinigkeiten" üben, um dann auch bei schwerwiegenderen Ereignissen gewappnet zu sein: Beispielsweise können wir Hitze und Kälte gleichmütig annehmen und nicht jammern, ebenso ein Hungergefühl, wenn wir gerade keine Möglichkeit haben, etwas zu essen; einen langweiligen Vortrag ohne Murren über uns ergehen lassen; uns nicht ärgern, dass wir keinen Parkplatz finden oder die Waschküche schon wieder nicht sauber ist; Veilchen nicht als schöner betrachten als ein so genanntes Unkraut... Die Möglichkeiten, im Alltag Gleichmut zu üben, sind unendlich.
Aber auch die freudigen Ereignisse, die uns normalerweise zu Luftsprüngen verleiten würden, sollten wir mit Ruhe und Dankbarkeit annehmen. Wollen wir nämlich das Zu-tode-betrübt loswerden, müssen wir auch das Himmelhoch-jauchzend aufgeben – sonst bleiben wir im Drama des Lebens mit seinem Auf und Ab gefangen.

Gleichmut ist indes nicht langweilige Eintönigkeit, freudlose Gleichförmigkeit. Gleichmut ist vielmehr der Schlüssel zu einem Raum der inneren Zufriedenheit, die in unserer Seele wohnt, dieser Zufriedenheit, die nicht von den äusseren Umständen abhängig ist, sondern zu unserem höheren Wesen gehört und immer währt – wir brauchen nur in sie einzutauchen.

 

So gut ich nur kann!
Das uneigennützige, selbstlose, nicht-zielgerichtete Handeln, die tragende Richtlinie des Karma-Yoga, in unserem Alltag umsetzen, bedeutet: immer das tun, was gerade zu tun ist, ohne eine Tätigkeit der anderen vorzuziehen, und zwar immer so gut wir nur können.
Es ist demnach nicht wichtiger und wertvoller zu meditieren, wenn die Fenster schmutzig sind und danach schreien, geputzt zu werden! Und bin ich gerade dabei, ein Buch zu lesen, und mein Blick fällt auf einen Fleck auf dem Teppich, dann beseitige ich ihn und lese nachher weiter.
Wie sollen wir es aber halten mit dem beruflichen und persönlichen Arbeits- und Termindruck, wenn die Zeit doch kaum ausreicht, um alles zu erledigen, und wir ständig nur gerade das Dringendste schaffen? Hier gilt: eines nach dem anderen, und das "Dringendste" ist dann wohl das, was zuerst ansteht. Dabei ist es entscheidend, dass wir die jeweilige Aufgabe so gut ausführen, wie wir es vermögen – nicht nachlässig oder liederlich oder mit der Einstellung "es ist ja nicht so wichtig". Handeln wir immer entsprechend unseren Fähigkeiten und nach bestem Wissen und Gewissen, brauchen wir uns selbst nämlich nichts vorwerfen: Wir haben getan, was wir konnten, und in der Weise, wie wir es für richtig hielten. Mehr sind wir nicht in der Lage zu leisten!
Wir sind ja oft recht streng mit uns selbst und klagen uns für unsere Unzulänglichkeiten gnadenlos an. Doch was sollten wir uns vorwerfen, wenn wir unser Möglichstes getan haben? Halten wir uns daran, dürfen wir alles, was wir nicht erledigen konnten, loslassen – dem Göttlichen übergeben: „Ich habe getan, was in meiner Macht stand, alles andere liegt in Deiner Hand.“
Das Gleiche gilt für die Ergebnisse unserer Arbeit: Haben wir unser Bestes gegeben – und nicht weniger! –, so sollen wir uns nichts vorhalten, wenn das Resultat nicht so ausfällt, wie wir es erwartet oder erhofft hatten. Die Folgen unserer Taten unterstehen dem Göttlichen Willen, nicht unserem. Und erlauben wir auch keinem anderen Menschen, uns deswegen zu tadeln, beziehungsweise nehmen wir uns solche Beschuldigungen nicht zu Herzen, denn sie sind absolut ungerechtfertigt!

Wir sehen uns ja oft mit den Forderungen und der Kritik oder mit den stillen Vorwürfen unserer Mitmenschen konfrontiert, sei es in der Familie oder im Beruf. Weil wir diese fürchten, neigen wir dazu, uns zu überarbeiten, mehr zu tun, als wir eigentlich vermögen. Es ist eine wichtige Lektion für unsere innere Entwicklung, die Abhängigkeit von der Wertschätzung anderer abzulegen, unsere Geborgenheit in uns selbst derart zu stärken, dass fremde Urteile uns nicht erschüttern. Ein entscheidender Schritt dabei ist – es kann nicht oft genug betont werden! –, dass wir unsere Aufgabe stets so gut erledigen, wie wir es vermögen, aber nicht mehr von uns selbst erwarten.

 

Selbstwertgefühl und Selbstliebe
Ein spiritueller Meister sagte: „Mach jeden Tag einen Menschen glücklich.“ Dann ergänzte er: „Selbst wenn dieser Mensch du selbst bist.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Vor allem, wenn dieser Mensch du selbst bist.“
Damit wir es wagen, uns selbst glücklich zu machen, brauchen wir Selbstwertgefühl. Erkennen wir nämlich unseren eigenen Wert nicht, sind wir abhängig von der Bewertung durch andere Menschen und stets bemüht, uns so zu verhalten, dass diese günstig ausfällt: Wir haben das Glück der anderen im Auge, selbst wenn es unser Unglück bedeutet.
Unser Selbstwertgefül darf allerdings nicht auf unserem Besitz, unseren Fähigkeiten oder Eigenschaften beruhen. Nicht nur können wir diese verlieren, es genügt schon, dass andere Menschen sie durch ihre Aussagen und ihr Verhalten herabwürdigen, um uns Selbstsicherheit und Selbstvertrauen einbüssen zu lassen. Das wahre Selbstwertgefühl gründet auf unserem Wert als menschliches Wesen an sich: Ich bin wertvoll, weil ich bin, weil ich eine unsterbliche Seele bin, ein Teil des Göttlichen – nicht wegen meines Reichtums, meiner Schönheit, Macht, Hilfsbereitschaft, Intelligenz. Nur wenn wir diesen wahren Wert erkennen, können wir uns annehmen, wie wir sind, mit unseren guten Eigenschaften und auch denjenigen, die wir noch verbessern möchten.
Nicht nur in Konflikt- oder Prüfungssituationen zeigt sich, wie es um unser Selbstwertgefühl bestellt ist; es sind vielmehr unzählige "banale" Verhaltensweisen im Alltag, die es uns verraten. Und vor allem dabei können wir an uns arbeiten. Rechtfertige ich mich stets für das, was ich tue oder sage? Versuche ich krampfhaft, mich zu erklären, damit andere Verständnis für mich haben? Lüge ich (aus Angst)? Schlucke ich manches hinunter, anstatt offen zu sagen, was mir missfällt? Mache ich mir Gedanken darüber, was andere von mir halten? Scheue ich mich, eine Frage zu stellen oder einen Kommentar abzugeben? Bin ich zu perfektionistisch? Bin ich arrogant oder besserwisserisch? Fällt es mir schwer, etwas anzunehmen? Ziere ich mich, um Hilfe zu bitten oder lehne ich die angebotene ab?
Es braucht in der Tat etwas Mut, in all diesen Situationen unsere Abhängigkeit von der Wertschätzung der Mitmenschen abzulegen. Wie erlangen wir aber diesen Mut? Eine hilfreiche Erkenntnis lautet: Ich bin auf dieser Welt, um zu lernen und innerlich zu wachsen; deshalb werde ich unweigerlich mit dem konfrontiert, was ich noch nicht kann – es ist sinnlos, vor diesen Herausforderungen davonzulaufen. Je schneller ich lerne, umso schneller hören sie auf. Ferner darf ich darauf vertrauen, dass ich die Liebe, die ich brauche, geschenkt bekomme; ich brauche nicht darum zu buhlen und mir selbst untreu zu werden.

Solches Urvertrauen ist eine Gnade, unerlässlich zu unserem Glück; andernfalls empfinden wir uns in einem ständigen Kampf, der unsere Energie und Lebensfreude verzehrt. Was wir selbst dazu beitragen können, um unser Urvertrauen (wieder) zu finden, lesen Sie in der nächsten vitasana-Ausgabe.

 

Urvertrauen und Hingabe
Ein tragender Pfeiler im Karma-Yoga ist das Urvertrauen; wir können es mit der Ergebenheit an das Göttliche gleichsetzen, auch mit dem absoluten Vertrauen in uns selbst, wenn wir unter diesem Selbst das Göttliche in uns verstehen.
Urvertrauen ist die Gewissheit, dass ich in meinem Leben geführt und getragen bin, stets für mich gesorgt ist, ich in jedem Augenblick genau das bekomme, was ich brauche und mir gut tut. Urvertrauen hat nichts mit einer resignierend-fatalistischen Haltung zu tun: "Wozu soll ich mich anstrengen, wenn es sowieso kommt, wie das Schicksal will..." Urvertrauen ist überaus lebensbejahend, begründet die Freude am Dasein: "Ich gebe mein Bestes und wie es auch kommt, ist es gut, ich nehme es dankbar an und erfreue mich daran!"
Die ganze Welt ist eine Bühne, auf welcher ein Schauspiel geboten wird zur Freude des Göttlichen Regisseurs, aber auch zum Vergnügen der Schauspieler – wären wir uns bewusst, dass wir nur eine Rolle spielen! Wir jedoch meinen, wir müssten alles selbst inszenieren, seien für den Fortgang des Theaterstücks verantwortlich, für all seine Auswirkungen. Dabei könnten wir uns vom Regisseur leiten lassen, seinen Anweisungen folgen, wir brauchen nicht einmal einen Text auswendig zu lernen, denn er gibt ihn uns in jedem Augenblick durch unsere Seele ein. Wir lassen einfach die Gegenwart abrollen, haften uns nicht an Vergangenes, schauen nicht voraus auf Künftiges – es lebt sich leicht mit Urvertrauen! Dabei müssen wir auch bedenken, dass es für ein gutes, spannendes Bühnenstück die verschiedenartigsten Rollen braucht, und keine „besser“ oder „schlechter“ ist als eine andere, der König nicht wertvoller als der Bettler. Entscheidend ist, dass wir unsere eigene Rolle so gut wie möglich spielen.
Urvertrauen ist ein Geschenk, eine Gnade. Die einen bekommen es in die Wiege gelegt, zumindest in Ansätzen, andere nicht. Erzwingen lässt es sich nicht, doch wir alle können es uns "erarbeiten". Der Weg führt über die bedingungslose Hingabe an das Göttliche und die Stärkung unseres Gleichmuts. Wir müssen uns stets von Neuem vergegenwärtigen, dass alles, was auf uns zukommt, einen Sinn hat; das Gute darin sehen; darauf vertrauen, dass wir stets bekommen, was wir brauchen; und aufhören, die Ereignisse in erwünschte und unerwünschte einzuteilen. Das ist eine tagtägliche Übung, die wir in jeder Situation praktizieren können, sei es bei kleinen Unannehmlichkeiten, sei es bei schwereren Schicksalsschlägen.

Diese innere Haltung können wir fördern, indem wir unser Bewusstsein mit Affirmationen nähren, die wir in Gedanken immer wieder aufsagen. Beispiele: "Ich nehme an, was das Göttliche mir gibt und mir nimmt"; „Meine Zukunft ist voller Freude“; „Was auf mich zukommt, ist gut für mich und bringt mich weiter“; „Alles hat einen Sinn“ und ähnliche. Urvertrauen entsteht nicht von einem Tag auf den anderen, aber wenn wir uns ehrlich darum bemühen, wird es uns geschenkt, das ist gewiss – irgendwann... dann, wenn für uns der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

 

Höherer Wille und egoisches Wollen
Von der bedingungslosen Hingabe an das Göttliche war im sechsten Teil dieser Karma-Yoga-Serie die Rede – in der Tat ist Hingabe die Grundlage jeder spirituellen Richtung (im Buddhismus ist es es die Hingabe an den Weg selbst).
Das bedingt, dass wir uns bemühen, dem Göttlichen Willen zu gehorchen: "Dein Wille geschehe", heisst es im Vater Unser. Doch uns ihm zu fügen, ist für uns Menschen gar nicht so einfach! Unser Alltag ist davon geprägt, dass wir ständig etwas wollen: essen, wenn wir hungrig sind, schlafen, wenn wir müde sind, gesund werden, wenn wir krank sind, als Single einen Freund, als entnervte Mutter gehorsame Kinder, für das Wochenende Sonnenschein, für das Gemüse im Garten Regen, einen netten Chef, angenehme Kollegen... Ich will – oder in höflicher, jedoch keineswegs weniger drängenden Form: ich möchte – ist eine unser häufigsten Aussagen.
Selten oder nie fragen wir uns: Will das Göttliche das auch? Das Göttliche in mir, meine Seele? Oder ist es nur ein banaler Wunsch meines Ego? Woran können wir aber den Höheren Willen erkennen, woher wissen wir, was das Göttliche will?
In der Bhagavad Gita wird diese Frage nicht ausdrücklich beantwortet, sondern es heisst schlicht, wir sollen unserer eigenen Lebensaufgabe folgen und alle unsere Taten dem Göttlichen weihen – vielleicht steht es uns Menschen nicht zu, den Göttlichen Willen umfassender zu kennen. Den Kosmischen Plan in seiner unendlichen Komplexität und Ganzheit könnten wir mit dem menschlichen Verstand wohl ohnehin nicht begreifen. Andere Heilige Schriften, wie die Bibel und der Koran, sind mit ihren Geboten und Verboten schon präziser; viele davon gehören allerdings zu einer bestimmten vergangenen Zeit und wir heutigen Menschen mögen daran nicht glauben. Und doch scheint es, als bräuchten wir einen "Leitfaden", um dem Göttlichen Willen zu folgen.
An eine ganz einfache, grundlegende Regel können wir uns jedenfalls halten: Alles, was mich dem Göttlichen näher führt, entspricht Seinem Willen; alles, was mich von Ihm entfernt, widerspricht Seinem Willen. Im Alltag sollten wir uns, wenn wir im Begriff sind etwas zu tun, fragen: "Kann ich diese Tat dem Göttlichen weihen?" Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, spüren wir dabei sofort, ob wir "richtig" handeln! Oder wie hört sich folgendes an: "Mein Gott, ich weihe dir meine feige Lüge." Und: "Allmächtiger, ich weihe Dir meine Eifersucht." Oder: "Göttliche Mutter, ich weihe Dir dieses dritte Stück Kuchen."
Bei vielen Gelegenheiten wissen wir in der Tat ganz genau, wie wir uns verhalten sollten, und begehen in vollem Bewusstsein einen Fehltritt, weil wir unserem dominanten Ego nachgeben – im Grunde genommen unverständlich, dass man wissentlich und willentlich eine "Sünde" begeht, nicht wahr?

In allen anderen Situationen, bei denen "richtig" und "falsch" nicht so eindeutig sind, verlassen wir uns auf unsere innere Stimme, die Stimme unserer Seele. Sie ist das Thema der nächsten Folge dieser Serie.

 

Die innere Stimme als Wegweiser im Alltag
Unser Verstand ist ein wertvolles Instrument, doch er kann nur das, womit er irgendwann "gefüttert" worden ist, wissen, analysieren und daraus neue Schlussfolgerungen ziehen – etwa wie ein Computer, der die vorhandenen Daten verarbeitet. Unsere Emotionen sind in dieser Hinsicht ebenso unzuverlässig: Liebe macht blind, sagt man, und Zorn ist ein schlechter Ratgeber; ganz zu schweigen von unseren vielen bewussten und unbewussten Ängsten, die uns oft daran hindern, gemäss dem Willen unserer Seele zu handeln.
Worauf sollen wir uns also stützen, sowohl bei zu treffenden Entscheidungen als auch bei all unseren spontanen Handlungen im Tagesablauf? Auf das, was man manchmal Intuition, manchmal innere Stimme nennt: die Stimme unserer Seele. Sie ist allerdings leise und wiederholt sich meistens nicht.
Die innere Stimme meldet sich nicht mit klaren, unmissverständlichen Worten; vielmehr ist es eine Empfindung, ein Wissen, das aus dem Nichts zu entspringen scheint, jedenfalls nicht aus Nachdenken und Grübeln. Am deutlichsten vernehmen wir sie, wenn wir im Begriff sind, eine Handlung vorzunehmen oder eine Entscheidung zu treffen, die nicht gut für uns ist. Dann empfinden wir ein kurzes Unbehagen, eine Art Unwohlsein, wir könnten es auch als Dysharmonie bezeichnen – diese Wahrnehmung dauert in der Regel aber nur Sekunden. Sofort melden sich gerne auch die Stimmen des Ego, die uns mit cleverer Überredungskunst weismachen, warum wir nicht auf die Stimme der Seele hören sollen.
Es ist nicht immer einfach, all die Stimmen in uns auseinanderzuhalten, aber es gibt einige grundlegende Unterscheidungskriterien: Die Stimme der Seele ist leise, sie wiederholt sich meistens nicht, besteht nicht aus Gedanken, geht auch nicht mit Emotionen einher, sondern ist eine ruhige, sichere Empfindung. Die Stimmen des Ego hingegen sind laut, deutlich, wiederholen ihr Anliegen öfters mit neuen Argumenten, es können auch kreisende Gedanken sein, und sie werden gerne von Emotionen begleitet.
Wenn wir bei wichtigeren Angelegenheiten eine Entscheidung treffen müssen, können wir uns in einen stillen Raum zurückziehen, die Augen schliessen, unsere Gedanken und Emotionen zum Schweigen bringen, indem wir für ein paar Minuten einfach unseren Atem beobachten, und dann ganz ruhig in Gedanken die Frage stellen, die wir von unserer Seele beantwortet haben wollen. Ein inneres Wissen wird in uns aufsteigen und es ist uns augenblicklich klar, wie wir entscheiden sollen.

Dass dieser Entschluss dem Ego nicht immer gefällt, Ängste und Wünsche ihm entgegenstehen, versteht sich! Wir dürfen aber darauf vertrauen, dass es das Richtige für uns ist, vielleicht nicht das Einfachste, mit Herausforderungen verbunden, aber auf jeden Fall das, was uns in unserer inneren Entwicklung voranbringt und schliesslich zum Guten führt. Entscheiden, handeln wir furchtlos und denken wir immer daran: Es gibt keine Fehler, nur Erfahrungen!

 

Ängste – das grösste Hindernis für ein glückliches Leben
Die ganze Lehre der Bhagavad Gita und somit auch des Karma-Yoga nimmt ihren Anfang bei der Weigerung des Kriegers Arjuna zu kämpfen. Es ist nicht die Angst vor dem eigenen Tod, die ihn quält, sondern die Angst zu töten. Er steht auf dem Schlachtfeld, betrachtet die gegnerischen Reihen und sieht Freunde, Lehrer, Familienmitglieder, und obwohl er weiss, dass sie Unrecht tun, aus Gier und Machtstreben diesen Bürgerkrieg führen, will er, der auf der Seite der Gerechtigkeit steht, nicht gegen sie kämpfen.
Genau so ergeht es uns im Alltag oft. Wir wüssten zwar, was "richtig" ist, was uns gut tut, was unsere Seele möchte, aber wir wollen andere dadurch nicht verletzen – und werden uns dabei selbst untreu, wir verleugnen unseren eigenen Lebensweg. Diese Sorge, anderen nicht weh tun zu wollen, ist aber gar nicht so uneigennützig, wie wir sie gerne sehen: Vielmehr steckt dahinter unsere Angst, nicht mehr geschätzt, akzeptiert, geliebt zu werden, Freunde zu verlieren, Vorteile oder Annehmlichkeiten einzubüssen, oder wir scheuen schlicht einen Konflikt.
Die grundlegende Angst, nicht geliebt zu werden, ist tief in uns verwurzelt, denn nie leiden wir so stark, wie wenn ein geliebter Mensch uns verlässt, verstösst, verrät, wir uns abgelehnt und zurückgewiesen fühlen. Die Angst davor, allgemein die Angst vor dem Leiden und dem Unglücklichsein, ist uns deshalb ein ständiger Begleiter, bewusst oder unbewusst, und prägt unseren Alltag weitaus stärker, als wir meinen.
Es ist paradox: Diese Ängste sind absolut sinnlos, denn sie können nicht verhindern, dass wir leiden und unglücklich werden. Das wissen wir alle! Im Gegenteil: Sie hindern uns daran, im irdischen Leben glücklich zu sein. Auch bremsen sie unsere spirituelle Entwicklung: Wollen wir das Göttliche, die Erleuchtung oder wie man es nennen mag, müssen wir jegliche Angst überwinden.
Aber auch im Alltag sind oft die Ängste verantwortlich, wenn wir uns nicht gut fühlen, denn Angst ist an sich schon leidvoll. Oder sind wir etwa glücklich, wenn wir befürchten, den Partner zu verlieren, unseren Lieben könnte ein Leid geschehen, die Kündigung zu erhalten, krank zu werden – bis hin zur Angst vor dem Zahnarzt, ausgelacht zu werden, den Ansprüchen anderer nicht zu genügen...

Unsere vielen Ängste müssen wir auf unserem Lebensweg unbedingt loswerden. Dazu brauchen wir Urvertrauen. Bis wir es erlangt haben und in jeder Situation ehrlich bekennen "Es ist gut, wie es kommt", gibt es nur ein Mittel, mit der Angst umzugehen: Wenn ich etwas nicht ohne Angst tun kann, dann tue ich es halt mit und trotz Angst, aber ich tue es! Uns über die Angst hinwegsetzen ist der einzige Weg, sie zu besiegen. Und es kann uns doch nichts geschehen, was nicht für uns bestimmt ist und uns weiter bringt... zu einem glücklichen Dasein, auf dem Pfad zu unserem spirituellen Ziel.

 

Die Weisheit der Bhagavad Gita
Nicht nur der Weg des Karma-Yoga wird in der Bhagavad Gita beschrieben, sondern auch Jnana- und Bhakti-Yoga, die Wege der Erkenntnis und der Liebe. In der Tat: Wie könnten wir uneigennützig handeln, ohne die entsprechenden Erkenntnisse, und wie unser Handeln in bedingungslosem Urvertrauen übergeben, ohne das Göttliche zu lieben?
Beachtenswert ist auch eine Aussage des Höchsten Gottes: „Wahrlich, dieser Yoga ist nicht für diejenigen, die zu viel essen oder zu viel schlafen, ebensowenig für diejenigen, die Schlaf und Nahrung aufgeben.“
Mässigung wird auch in anderen Religionen gefordert, beispielsweise im Christentum (Völlerei und Wollust gelten hier als Todsünde) und im Islam („O Kinder Adams, habt eine gepflegte Erscheinung an jeder Gebetsstätte, und esset und trinkt, doch überschreitet dabei das Mass nicht; wahrlich, Er liebt nicht diejenigen, die nicht masshalten.“). Doch während im Christentum und auf vielen östlichen spirituellen Wegen radikale Askese eine wichtige Rolle spielt, wird sie in der Bhagavad Gita klar abgelehnt. Wir müssen uns nicht selbst kasteien und uns alles versagen!
Warum sollten wir uns an all dem Schönen und Guten, das uns geschenkt wird, nicht erfreuen, es nicht geniessen? Käme das nicht etwa einer Zurückweisung, ja einer Beleidigung des Schenkenden gleich – des Göttlichen, von dem ja alles kommt? Wir dürfen alles annehmen, was uns gegeben wird, nur begehren, erwarten, fordern dürfen wir es nicht, und nicht vermissen, wenn es uns versagt bleibt oder wieder genommen wird. Gleichmut ist also die Eigenschaft, die wir entwickeln sollen, nicht Entsagung.
Wenn wir etwas "aufgeben", muss das einer freiwilligen Geste der Hingabe entspringen, weil wir spüren, dass es uns nicht mehr wichtig ist. Welchen Nutzen hätte es beispielsweise, ein Stück Kuchen abzulehnen, dabei aber die ganze Zeit an nichts anderes zu denken, als wie fein es doch schmecken würde... Solange wir einen Verzicht als Opfer empfinden, sind wir weit von der wahren Hingabe entfernt und ein solcher Verzicht ist sinnlos! Was nicht heissen will, dass wir uns nicht um eine gewisse Mässigung und die überaus wichtige Nicht-Anhaftung bemühen sollten. Eine gesunde Portion Disziplin brauchen wir in jedem Bereich unseres Lebens, wollen wir nicht zu willenlosen Spielbällen der Begierden unseres zügellosen Ego werden.

In diesem Sinne liegt die grosse Weisheit der Bhagavad Gita auch darin, dass sie keine konkreten Gebote und Verbote für unser Verhalten ausspricht: "Das sollst du tun", "Das musst du lassen", sondern alles unserer eigenen unfehlbaren inneren Führung überlässt – durch Hingabe an das Göttliche, Urvertrauen und Gleichmut. So wandern wir freudig auf dem sonnigen Weg durch das diesseitige Leben – und auf das kommende zu.

 

 

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