… for nothing left to lose (Freiheit ist bloss ein anderes Wort für Nichtsmehrzuverlierenhaben) – sang Janis Joplin in ihrem Lied „Me and Bobby McGee“ gestern im Radio. Ich drehte die Lautstärke voll auf und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Beim Ausklingen wurde mir wieder einmal schlagartig bewusst, wie sehr unsere Anhaftung an Dinge und Menschen unsere innere und äussere Freiheit einschränkt. Darüber – ebenfalls inspiriert von diesem Song – habe ich früher schon auf dieser Website geschrieben, siehe hier.
Was ich gestern aber noch schmerzlicher realisiert, ja plötzlich beinahe physisch gespürt habe: Die Anhaftung frisst eine Menge Energie. Energie, die uns dann fehlt für Initiativen, Unternehmungsgeist, Entscheidungen, bis hin zur Lebensfreude.
Egal was das Objekt unserer Anhaftung ist, ein Besitzstück (wie ein Haus), unser Job, ein geliebter Mensch, eine Lebensweise – immer ist ein Teil unserer Energie in dieser Anhaftung gebunden, sei es in der Angst, das Objekt nicht zu erlangen oder zu verlieren, sei es in glücklichen Gedanken daran. Meistens ist uns nicht bewusst, wie viel Energie wir darin verschleudern, denn unsere Sorge oder Freude steht nicht ständig im Vordergrund unserer Gedanken, vielmehr irgendwo im Hinterkopf oder in einem verborgenen Winkel unseres Herzens.
Was können wir gegen die Anhaftung und besonders gegen diese Energieverschwendung tun, wie können wir uns daraus befreien und diese Freiheit erlangen, die wir nur geniessen, wenn wir nichts besitzen, was wir zu verlieren fürchten?
Natürlich: Urvertrauen, Gleichmut und Selbstliebe helfen dagegen. Heute möchte ich euch aber zwei konkretere Anregungen geben, über die ich bei meinem langen Spaziergang vorhin nachgedacht habe – in eigener Sache, denn ich spüre, wie ich selbst in letzter Zeit ebenfalls der Anhaftung an eine bestimmte Lebensweise erlegen bin.
• Treffen wir unsere Entscheidungen und handeln wir so, als ob es das Objekt unserer Anhaftung nicht gäbe. Mit anderen Worten: Die Anhaftung ist zwar da, aber wir übergehen sie einfach, wir lassen uns durch sie nicht an dem hindern, was wir tun möchten.
• Arbeiten wir ganz intensiv an unserem Urvertrauen. Also: Vertrauen wir darauf, dass wir im Leben geführt werden, und zwar dahin, wo es gut für uns ist, und hören wir deshalb auf, etwas Bestimmtes zu wollen oder nicht zu wollen. Sagen wir mit tiefer Überzeugung zum Göttlichen: Dein Wille geschehe.
Zu diesen beiden Punkten muss ich unbedingt ergänzen, dass der Grat zwischen „mich führen lassen“ und „eine Sache schlittern lassen“ ein ganz, ganz schmaler ist! Gerne und oft zitiere ich das Gebet:
Lieber Gott, gib mir die Kraft und den Mut zu ändern, was ich ändern kann, die Gelassenheit zu ertragen, was ich nicht ändern kann, und die Weisheit zwischen den beiden zu unterscheiden.
Dass selbst dieses Lebensmotto sich wegen der Schwierigkeit der weisen Unterscheidung nicht immer so einfach anwenden lässt, zeigt mein eigenes Beispiel. Ich befinde mich seit geraumer Zeit in einer Lebenssituation, die mir nicht gefällt. Ich kann abwarten, bis mir eine Entscheidung von aussen aufgezwungen wird, sie wird früher oder später unweigerlich kommen. Oder aber ich kann die Situation selbst ändern, allerdings habe ich keine echten Wahlmöglichkeiten, ich kann mich nämlich nur für eine Richtung entscheiden, und zwar für diejenige, in die ich nicht will.
Hm… nicht will? Wollen, nicht wollen… Solche Formulierungen sollten uns immer stutzig machen. Befinde ich mich in dieser Situation mit nur einem ungeliebten Ausweg, weil ich lernen soll, sie mit Gelassenheit zu ertragen, bis das Göttliche mich in die von Ihm bestimmte Richtung führt?
Oder erwartet das Göttliche von mir, dass ich mein Leben endlich selbst in die Hand nehme und die Entscheidung treffe, war ich bisher einfach nur zu feige dazu?
Wie viel Ego steckt im Ändernwollen, wie viel im Nichtändernwollen?
Ich weiss es nicht. Meine Innere Stimme, die mich sonst so zuverlässig leitet, schweigt. Wahrscheinlich weil ich mich an eine andere meiner Lebensweisheiten halten soll: Solange ich nicht ganz sicher weiss, in welche Richtung ich gehen soll, ändere ich nichts an meiner Situation. Zumindest nichts Entscheidendes, sondern ich treffe nur, wie oben unter dem ersten Punkt erwähnt, meine „kleinen“ Entscheidungen unabhängig vom Objekt meiner Anhaftung.
Bringen wir einerseits den Mut auf, die Anhaftung zu übergehen und unseren Weg zu beschreiten, und andererseits das Urvertrauen und den Gleichmut, unser Wollen/Nichtwollen loszulassen, vergeuden wir zumindest darin keine Energie mehr. Damit ist schon viel gewonnen.
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