Meine Ichs

Die Vorgeschichte. Marrons glacés sind meine allerliebste Süssigkeit. Als Kind bekam ich immer zu Weihnachten eine Schachtel, zwölf Stück waren darin. (Danach das ganze Jahr keine mehr – damals gab es sie in Italien auch nur im Winter zu kaufen.) Sie hielten nie lange, ich verschlang sie jeweils alle in zwei, drei Tagen.

Später, als Erwachsene, vergass ich sie irgendwann, bis ich sie vor ein paar Jahren wiederentdeckte, weil es sie inzwischen sogar in meinem Supermarkt zu kaufen gibt.
In einer Schachtel hat es immer noch zwölf Stück und ich würde sie immer noch am liebsten alle auf einmal essen. Eine Zucker- und Kalorienbombe!

Anfang November sah ich, wie sie im Supermarkt die Weihnachtsleckereien auftürmten, natürlich auch die Marrons glacés. 
Mein Vernunft-Ich sagte: „Nein, nicht schon im November. Ich kaufe erst im Dezember die erste Schachtel und esse dann jeden Tag nur ein Stück zum Kaffee.“

Gestern Morgen – Mitte November – beim Einkauf im Supermarkt sagte mein Verführer-Ich: „Ach was, warum soll ich mir die Freude versagen? Ich kaufe eine Schachtel und esse wirklich nur ein Stück pro Tag.“
Ich kaufte eine Schachtel.

Gestern Mittag beim Kaffee sagte mein Nasch-Ich nach dem ersten Marron glacé: „Himmlisch! Es sind die ersten dieses Jahr, ich esse noch eins. Ab morgen dann wirklich nur noch eines pro Tag.“
Gestern Abend war die Schachtel halb leer. Und ich befürchte, heute Abend wird sie ganz leer sein.

Sagen wir „Ich“, so empfinden wir uns ja als eine Einheit, ein Einziges. In Wirklichkeit sind wir aber nicht die Einheit, für die wir uns halten, das erfahren wir immer wieder in Situationen wie in meiner Marrons-glacés-Geschichte. Eines unserer Ichs will etwas, nimmt sich etwas vor – und ein anderes wirft die Pläne, die Entscheidung über den Haufen, weil es etwas anderes will. Dazu hat P. D. Ouspensky aus seinen sufistischen, theosophischen und psychologischen Grundlagen eine eigene Theorie entwickelt:

„Der Mensch ist eine Maschine. Er hat keine unabhängigen Bewegungen, weder äußerlich noch innerlich. Er ist eine Maschine, angetrieben von äußeren Einflüssen und von äußeren Anstößen. […] Vor allem soll der Mensch wissen, dass er nicht eine Einheit ist – er ist eine Vielheit […] Dadurch, dass er stets die gleichen physischen Empfindungen hat, sich immer beim gleichen Namen rufen hört und sich in Gewohnheiten und Neigungen wiederfindet, die er immer gekannt hat, bildet er sich ein, stets derselbe zu sein. In Wirklichkeit ist keine Einheit im Menschen, es gibt weder ein alleiniges Befehlszentrum noch ein bleibendes ‘Ich’ oder Ego. […] Alle Gedanken, jedes Gefühl, jede Empfindung, jeder Wunsch, jedes ‘ich mag’ oder ‘ich mag nicht’ ist ein ‘Ich’. Diese ‘Ichs’ sind untereinander nicht verbunden noch irgendwie koordiniert […] Einige ‘Ichs’ folgen anderen ganz mechanisch, einige erscheinen immer von anderen begleitet, aber darin liegt weder Ordnung noch System.“

Nach Ouspensky sind wir uns selten unserer selbst bewusst, vielmehr läuft alles automatisch ab. Daraus folgt: Wir müssen uns wieder „selbst-erinnern“, uns unserer selbst in jedem Augenblick bewusst sein. Versuchen wir beispielsweise, den Zeiger einer Uhr zu beobachten und uns gleichzeitig bewusst zu sein, dass wir es sind, die dies tun, so schaffen wir das keine zwei Minuten lang. Ganz schnell verlieren wir die bewusste Empfindung wieder, dass wir da sind. Als Instrument, um diese Selbst-Bewusstheit und damit ein Einheits-Ich zu erlangen, sieht Ouspensky die Selbst­beobachtung. Für ein großes Hindernis hält er die Identifikation: Wir identifizieren uns ständig mit allem, was wir sa­gen, wissen, denken, mit unseren Wünschen, mit Geliebtem und Verhasstem – doch das alles sind nur verschiedene Ichs in uns, es ist nicht das wahre Ich (die Seele). Diese Identifikation hindert uns also am Selbst-Beobachten und folglich am Selbst-Erinnern, und wir müssen sie aufgeben, wollen wir unser wahres Selbst finden.

Achtsamkeit – in jedem Augenblick. Dann fällt es uns auch leichter, Versuchungen zu widerstehen und unserem weisen Ich zu folgen.

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Unsere innere Welt

Mein neues Buch, der 4. Band der spirituellen Sonnwandeln-Reihe, mit dem Titel „Unsere innere Welt“ ist soeben erschienen.

Sonnwandeln_Band_4

Unsere innere Welt
Sonnwandeln Band IV
von Karin Jundt
nada Verlag
ISBN 978-3-907091-14-2
Paperback, 240 Seiten
EUR 19.00 / ca. CHF 23.00

Erhältlich in Buchhandlungen und Online-Shops.

Ich bin ja bekannt dafür, dass ich spirituelle Themen stets in einen konkreten Bezug zum gewöhnlichen Alltag stelle. So auch in diesem Band der Buchreihe. Dennoch geht es hier hauptsächlich um unser Innenleben – mit seinen förderlichen und hinderli­chen Eigenschaften.
Die Themen erstrecken sich vom Ego in seinem Denken und Füh­len über die Wünsche, die daraus entstehende Anhaftung und den damit zusammenhängenden Bereich der Bewertung und des Gleichmuts bis hin zur univer­sel­len Energie und den Aspekt von Krankheit, Gesund­heit und Hei­l.
Was die äusse­re Welt mit der inneren verbindet, ist die Acht­samkeit. Dazu biete ich mehrere Übungen zur Selbstbeobachtung und, wie in der gesamten Sonnwandeln-Reihe, konkrete Anregungen zur Änderung des eigenen Verhaltens im Alltag, nicht nur um spiri­tuell zu wachsen, sondern auch um das Leben freudiger und erfüllter zu ge­stalten. Die neuen Erkenntnisse lassen sich beim täglichen Ent­scheiden und Han­deln, im Umgang mit den Mitmenschen, zur Be­wäl­tigung von Heraus­for­de­rungen und Krisen laufend um­setzen.
Denn ich bin zutiefst davon überzeugt: Spiritualität ist nichts Asketisches, Weltfremdes und erfordert keinen Rückzug aus dem „normalen“ Dasein und stundenlanges Meditieren, wie es östliche Religionen zum Teil vermitteln. Ebenso wenig ist es nötig, sich in diesem Leben zu bescheiden, gar zu leiden, um dann im Jenseits die ewige Glück­seligkeit zu erlangen, wie gewisse christliche Richtungen es nahe­legen. Nicht das äussere Leben ist der Maßstab für Spiritua­lität, sondern die innere Haltung.

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Schönreden und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst

Euphemismen* kennen wir vor allem aus Politik und Wirtschaft; sie werden verwendet, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Man spricht beispielsweise von „Kollateralschaden“ eines kriegerischen Angriffs – und meint zivile Opfer. Oder, noch schlimmer, von „ethnischer Säuberung“ für Völkermord. Man sagt „Minuswachstum“ für Rezession oder „negativer Gewinnbeitrag“ für Verlust und „Nachrichtendienst“ für Spionage.
Aber auch im alltäglichen Leben gehören solche Beschönigungen zum normalen Sprachgebrauch: einschlafen statt sterben, beleibt statt dick, Allerwertester für Po. Die meisten Euphemismen sind schon lange so gängig, dass wir uns der Rosafärbung gar nicht mehr bewusst sind.

Neulich sagte mir ein Bekannter, dessen dritte Ehe gerade in die Brüche gegangen war, er sei wohl „beziehungsunfähig“. Ich bezweifle es allerdings, ich betrachte dieses psychologische Modewort in seinem Fall als Euphemismus. In meinen Augen ist er schlicht zu egoistisch: Er hat immer sein eigenes Süppchen gekocht (um einen weiteren Euphemismus zu verwenden). Seine vielen Hobbies, neben dem anspruchsvollen Beruf, liessen ihm kaum je Zeit, sich tiefer auf seine Frauen einzulassen, geschweige denn die Partnerbeziehung zu pflegen. Ich habe ihn vorsichtig darauf angesprochen, doch er hat abwehrend reagiert.

Wie gerne reden wir uns doch unsere eigenen Unzulänglichkeiten schön! In meinen Büchern und Schriften weise ich immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, ehrlich zu uns selbst zu sein, wollen wir uns ändern, innerlich wachsen, bessere – und damit glücklichere – Menschen werden.
Wir müssen achtsam sein, uns objektiv anschauen, so objektiv als beträfe es einen anderen Menschen. Dabei jedoch unbedingt vermeiden, uns für unsere Unzulänglichkeiten zu verurteilen, uns für Versager zu halten, an uns zu zweifeln und uns selbst dafür zu bestrafen. Und es darf keinesfalls unser Selbstwertgefühl tangieren: Egal wie wir sind, egal was wir tun, wir sind immer wertvoll als menschliche Wesen, als göttliche Seelen. Aber wir sind nicht vollkommen, das dürfen wir uns eingestehen – und daran arbeiten, es irgendwann zu sein, das ist unsere Aufgabe in der Lebensschule.

* aus dem Griechischen: eu = schön, phemein = reden, sagenArtikel teilen auf:

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Sünden

Eine Nonne erklärte mir als Kind – im katholischen Italien der frühen 1960-er Jahre: „Jede Sünde, die du begehst, sei sie noch so klein, ist wie ein schwarzer Fleck auf deiner Seele. Bei einer Todsünde wird die ganze Seele mit einem Mal schwarz.“
Ich weiss nicht mehr warum, aber die Seele stellte ich mir in etwa so gross wie das Herz vor, und auch genau in Herzform. Deshalb fragte ich: „Und was passiert, wenn die Seele ganz schwarz wird, weil so viele Flecken darauf sind, dass es gar nichts mehr Weisses gibt? Kann der liebe Gott dann noch unterscheiden, ob es eine Todsünde war oder viele kleinen Sünden?“ Das spielte nämlich eine Rolle: Starb man mit einer Todsünde, kam man direkt in die Hölle, während die kleineren Sünden, und seien es noch so viele, nur ins Fegefeuer führten.
Die Nonne blieb mir die Antwort schuldig.

Sünden – sie spielten in meiner Kindheit eine grosse Rolle. Jeden Samstag mussten wir zur Beichte… und was hatten wir Kinder schon zu beichten?! Ich habe gelogen, ich war ungehorsam… Woche für Woche zermarterte ich mir das Hirn, was ich denn beichten sollte; ich dachte, der Pfarrer müsse doch hie und da einmal etwas Neues zu hören bekommen, nicht immer die gleichen Sünden.

Heute habe ich ein anderes Konzept der Sünde. Ich betrachte „die Sünde“ als eine Metapher für einen Fehltritt, durch den ich mich von meinem höheren Selbst entferne.
Es stellt sich dann natürlich die Frage, was ein „Fehltritt“ ist. Grundsätzlich wohl jedes Verhalten, in das wir vom Ego getrieben werden. Aber entgegen der katholischen und moralischen Doktrin, die sich an die Regel hält „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe“, bin ich davon überzeugt, dass wir nur dann „sündigen“, wenn wir bewusst und willentlich einen Fehltritt begehen.
Selbst dann „sündigen“ wir ja noch oft genug!

Betrachten wir es ganz nüchtern, so scheint es unbegreiflich, dass wir bewusst etwas Unrechtes tun. The Mother, die spirituelle Weggefährtin des indischen Philosophen und Mystikers Sri Aurobindo, sagte einmal: „[…] einen Fehler zu machen, von dem man weiss, dass es ein Fehler ist, das scheint mir abstrus! […] ich habe es bisher nicht geschafft, das zu verstehen. Es scheint mir – es scheint mir unmöglich. Falsche Gedanken, falsche Impulse, innere und äussere Unredlichkeit, hässliche, nie­derträchtige Dinge: So lange man sie aus Unwissenheit tut – Unwissenheit ist da in der Welt –, versteht man das […] Aber sobald die Erkenntnis vorhanden ist […] wie kann man es je wieder tun? Das verstehe ich nicht!“
Ich selbst verstehe es hingegen nur allzu gut! Immer wieder tun wir Dinge, von denen wir genau wissen, dass sie nicht richtig sind. Unser Ego ist eben oft sehr stark, unsere Willenskraft schwach. Das Göttliche weiss das aber und verzeiht es uns. Keine Sünde führt uns in die „Hölle“, ausser in diejenige, die wir uns durch unsere Selbstvorwürfe und Schuldgefühle selber schaffen.Artikel teilen auf:

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Eine leidvolle Situation ändern!

Wie lange ist es her, dass ich auf der Strasse ein fröhliches Lied gesummt habe? Lange, viel zu lange, ich erinnere mich nicht einmal. Doch heute habe ich es wieder getan, plötzlich ist es mir bewusst geworden, nachdem ich schon eine ganze Weile unterwegs war.

Seit weit über einem halben Jahr lebte ich in einer für mich sehr belastenden Situation. Vor ein paar Tagen habe ich sie definitiv geändert. Warum ich so lange damit gewartet habe? Weil ich mir nicht sicher war, ob die Stimme in mir, die „Schluss!“ sagte, aus meinem Ego oder aus meiner Seele kam, desgleichen bei der anderen Stimme, die mir „Geduld!“ zurief. Einmal war diese Stimme aktiver, einmal die andere – und ich war ratlos. Ich. Ich, die ich immer behaupte, dass wir sehr wohl die Stimme des Ego von der Stimme der Seele unterscheiden können.
Zu dieser Aussage stehe ich immer noch. Wir können die beiden Stimmen unterscheiden – wenn wir es wollen. Aber starke Gefühle oder Emotionen hindern uns manchmal daran; wir wüssten zwar, was besser für uns wäre, aber…
Das Problem liegt oft auch darin, dass wir zu wissen meinen, wie es sein wird, wenn wir das eine oder das andere tun, und Angst vor dem Leiden haben. Aber später, wenn wir dann gehandelt haben, stellen wir fest, dass es überhaupt nicht so gekommen ist, wie wir befürchtet hatten.

Nun da ich meine innere Zufriedenheit und meinen Seelenfrieden wieder gefunden habe, frage ich mich natürlich: Was sollte ich aus dieser belastenden Situation lernen? War es eine Übung in Gleichmut oder eine in Entschlossenheit, etwas zu ändern?
Es spielt keine Rolle. Das ist mir jetzt ebenfalls klar geworden. Ich hätte Gleichmut üben können, wenn ich mich bemüht hätte, die Situation gleichmütig zu ertragen. Das habe ich offenbar nicht geschafft. Ich hätte Entschlossenheit und Selbstliebe üben können, wenn ich den Schritt, den ich nun gemacht habe, schon viel früher gemacht hätte. Nun ja, jetzt habe ich ihn ja gemacht, und wertvolle Erkenntnisse daraus gewonnen.

Ich erzähle euch das, um euch zu ermuntern, nicht so lange zu warten, wie ich es getan habe. Mein spiritueller Lehrer sagte mir immer: „Solange es dir gut geht, brauchst du an deinem Leben nichts zu ändern. Aber wenn es dir nicht mehr gut geht, dann ändere etwas, und zwar sofort!“
Nehmen wir also dieses klare Symptom zum Wegweiser: Wenn es uns schlecht geht, wenn schlaflose Nächte, kreisende Gedanken uns quälen, wenn wir unseren inneren Frieden verloren haben – bewegen wir uns, ändern wir die Situation! Ohne Angst vor dem, was kommt. Es wird immer etwas sein, das uns weiter bringt, das uns etwas lehrt, immer eine Erfahrung, nie ein Fehler. Und uns am Ende glücklicher macht.Artikel teilen auf:

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Das Ego: Mittel zum Zweck

Die Bildung des Ego war eine wichtige Errungenschaft der Evolution: Es ist die Geburt des Individuums, der Empfindung, dass ich ein von anderen abgegrenztes Wesen bin mit individuellen Bedürfnissen und der innewohnenden Möglichkeit, diese zu befriedigen, und nicht nur ein Bestandteil eines Kollektivs. Das Ego ist die Zwischenstufe zwischen dem instinkt­gesteuerten und dem spirituellen Wesen, zwischen der Unbewusstheit und dem Göttlichen Bewusstsein.
Aus dem Blickwinkel der Evolution muss der Mensch als Spezies seine Eigenständigkeit gegenüber „der Natur“ herausarbeiten und behaupten: Sich nicht länger vom Instinkt und von einer Mechanik leiten lassen, sondern von seinen Vorstellungen und Wünschen, seine Individualität wahrnehmen und ausleben. Erst wenn er den ganzen Reichtum des Ego an Fähigkeiten, Kraft und Genuss erfahren hat, kann er sich Höherem zuwenden.
Ist das Evolutionsziel „Bildung des Ego“ erreicht – das ist es in unserer heutigen Menschheit längst! –, folgt das nächste: das Erlangen des Bewusstseins, dass dieses Ego nur eine zu überwindende Übergangsstufe ist, und die spirituelle Entwicklung bis zur Erkenntnis der Einheit im Göttlichen.
Zur Zeit leben wir noch in einem äusseren, oberflächlichen Bewusstsein, identifizieren uns mit ihm und schreiben ihm zu, was in Wirklichkeit für die Seele zutrifft; das Ego ist sozusagen ein „Ersatzbewusstsein“. Von diesem Irrglauben, es sei unser wahres Selbst, haben wir uns jetzt zu lösen.
Wegen des Ego sind wir uns der Einheit aller Wesen, ja allen Existierenden nicht bewusst und versuchen stets im Hinblick auf unseren individuellen Vorteil zu handeln. Daraus entsteht vieles, was wir „schlecht“, „böse“, „verwerflich“, „sündig“, „egoistisch“ nennen. Es ist jedoch auch nichts weiter, als ein Schritt in der Evolution: Die Natur setzt alles ein, was ihr zur Verfügung steht, schöpft alle Möglichkeiten aus, um die Ent­wicklung voranzutreiben, auch egoistische oder selbstzerstörerische Instinkte, wenn sie dem fernen Ziel dienen. Sind doch erst durch das „Böse“ und unser Empfinden von „Sünde“ die Ethik und Moral als Vorstufe des Spirituellen entstanden.
Es ist auch dieses Ego, das sich freut und leidet, dem wir einen freien Willen zuschreiben und all das, von dem wir meinen, es mache uns aus. Aber das Ego ist nicht unser wahres Selbst! Wenn wir Ich sagen, sollten wir damit unsere Seele meinen, diesen Göttlichen Kern in uns, der sich weder freut noch leidet und als Willen lediglich den Göttlichen kennt. Das Ego loslassen, unsere wahre Identität erkennen und damit wieder eins mit dem Göttlichen werden, ist der Sinn unserer menschlichen Existenz.

Unter „das Ego loslassen“ darf nicht verstanden werden, es zu vernichten, denn es verfügt über die Eigenschaften, die für unseren spirituellen Weg unerlässlich sind. Verwandeln sollten wir es, von dieser niedrigen Entwicklungsstufe auf eine höhere erheben.
Jede unserer „niederen“ Regungen ist nämlich lediglich eine Verzerrung der wahren Eigenschaft des Göttlichen (und unseres wahren Selbst) und kann in sie verwandelt werden: So muss beispielsweise unsere besitzergreifende Liebe zur bedingungslosen Liebe werden, un­­ser Hunger nach weltlichen Genüs­sen zur Sehnsucht nach der im­merwährenden Göttlichen Glückseligkeit, unser unvollkommenes Denken zum All-Wissen.Artikel teilen auf:

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Stimme der Seele oder Stimme des Ego?

Manchmal haben wir das Gefühl, keine Wahl zu haben – oder in etwas „getrieben“ zu werden, dem wir uns nicht entziehen können. Dahinter steckt entweder die Stimme der Seele oder die Stimme des Ego. Beide können uns das Gefühl vermitteln, „etwas“ in uns habe entschieden oder uns gänzlich ohne nachzudenken – spontan – handeln lassen. Es ist nicht immer einfach herauszufinden, ob es unsere Seele ist oder das Ego, und darüber nachsinnen hilft meistens nicht: Folgen wir der wahren inneren Stimme, brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen, denn wir handeln, wie es gut für uns ist; treibt uns hingegen das Ego an, so ist es listig genug, sich als Höheres zu tarnen und uns tausend Begründungen und Rechtfertigungen für unser Verhalten unterzujubeln.

Manchmal erkennen wir die Motivation unserer Tat erst zu einem späteren Zeitpunkt – teilweise viel, viel später, Tage, Wochen oder gar Jahre danach! Dann lernen wir etwas daraus und vielleicht spüren wir bei der nächsten ähnlichen Situation besser, ob es unser Ego ist, das mit uns spricht, oder unsere Seele.
Sofern es unsere Seele ist, die uns zu einer Handlung treibt, entspricht es dem Höheren Willen und dient der Erfüllung des Göttlichen Plans; es kann sein, dass wir selbst dabei nur die Rolle eines „Werkzeugs“ spielen, das wirkliche „Ziel der Aktion“ ein anderer Mensch ist. Wenn wir auf unser Leben zurückblicken, finden wir in der Regel mehrere Begebenheiten, bei denen wir in eine bestimmte Situation oder Handlung „getrieben“ wurden, damit sich für einen Menschen aus unserem Umfeld etwas bewegte; im damaligen Zeitpunkt verstanden wir vielleicht nicht, warum uns etwas Bestimmtes widerfuhr oder wir in einer Weise handelten, die uns fremd war, doch aus der zeitlichen Entfernung und nachdem wir die „Fortsetzung der Geschichte“ erlebt oder erfahren haben, wird uns klar, welche Rolle wir zu spielen hatten.Artikel teilen auf:

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Das passiert dir nicht nochmals!

Als ich vor über 15 Jahren mit dem Fallschirmspringen begann, bestand die Grundausbildung aus 7 von Instruktoren begleiteten Sprüngen. Bei jedem Sprung musste ich im freien Fall bestimmte Aufgaben bewältigen, beispielsweise Drehungen, Annäherungen an den Instruktor und mehr; erfüllte ich sie, galt die „Prüfung“ als bestanden und ich durfte die nächste Stufe in Angfriff nehmen.
Nachdem ich die ersten vier problemlos geschafft hatte, missriet mein fünfter Sprung total. Man muss wissen, dass es für eine stabile Position in der Luft unerlässlich ist, mit leicht hohlem Kreuz zu fliegen – etwas ganz einfaches, was man vom ersten Sprung an beherrscht. Warum ich das plötzlich „vergass“, ist mir nicht klar, jedenfalls kippte es mich auf den Rücken und ich begann mich immer schneller um die eigene Achse zu drehen (bei über 150 Km/h Fallgeschwindigkeit!) – eine lebensgefährliche Situation. Ich kam mir vor wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und hilflos mit den Beinen zappelt. Schnell flog mein Instruktor zu mir, packte mich und wendete mich wieder!
Nach der sicheren Landung besprachen wir den Sprung. Natürlich hatte ich nicht bestanden. Doch das war nicht mein Problem. Ich war regelrecht schockiert und sagte: „Jetzt noch drei Sprünge mit dir und dann fliege ich ganz allein. Was, wenn ich wieder in diese Situation gerate? Dann ist keiner da, der mich daraus rettet…“
Er antwortete lächelnd: „Das passiert dir nicht nochmals!“
Ich zweifelte etwas daran, wie konnte er so sicher sein? Doch ich vertraute ihm – schliesslich hatte ich ihm seit Beginn meiner Ausbildung mein Leben anvertraut.
Und tatsächlich: Es passierte mir nie wieder!

Schon damals dachte ich: Es wäre schön, wenn es sich im alltäglichen Leben auch so verhielte, dass man jeden Fehler nur ein einziges Mal macht!
Doch so einfach ist es hier nicht. Es liegt nicht einmal daran, dass wir aus den Erfahrungen nicht die richtigen Erkenntnisse ziehen oder zu wenig daraus lernen. Meistens ist unser Unbewusstes daran Schuld, namentlich die unbewussten (oder sogar die bereits erkannten) Verhaltensmuster, die uns steuern, ohne dass wir willentlich eingreifen können. Das habe ich in den letzten zwei Monaten mehrmals deutlich erfahren (Näheres darüber auf meiner Website über Selbstliebe und Urvertrauen: Beitrag: Ich will ihm nicht wehtun und Beitrag: Mir selbst bedingungslos vertrauen!) Und zwar selbst Muster, von denen ich dachte, ich hätte sie längst abgelegt…
Vor allem in Momenten, in denen starke Emotionen oder Gefühle mitspielen, sind wir besonders anfällig für das Zurückfallen in „alte Rollen“ – wahrscheinlich weil dabei unsere Achtsamkeit herabgesetzt und unser Ego recht stark ist.

Da gibt es wohl auch kein Patentrezept dagegen. Wichtig ist, im Nachhinein ehrlich auf die gemachte Erfahrung zurückzublicken und sie mit der grösstmöglichen Sachlichkeit – als beträfe sie einen anderen Menschen – zu analysieren und Lehren daraus zu ziehen. Ohne Selbstvorwürfe, ohne Schuldgefühle oder Schuldzuweisungen, ganz nüchtern hinschauen und erkennen, was abgelaufen ist, welche Impulse welche Reaktionen hervorgerufen haben, natürlich auch vor sich selbst zugeben, wo es einfach Willensschwäche, Angst oder die Verlockung des Ego war… Dann loslassen, loslassen und nochmals loslassen, einen Schlussstrich darunter ziehen, ohne weiterhin negative Empfindungen mit sich zu schleppen.
Und vor allem einen Vorsatz fassen: Das nächste Mal passe ich besser auf, bin wachsamer, stärker, mutiger!
Dieses „nächste Mal“ wird kommen, die Lebensschule führt uns immer wieder in die „Prüfungen“, die wir noch nicht bestanden haben – es ist jedes Mal eine neue Chance, eine Möglichkeit zu erkennen, zu lernen, weiterzukommen. Sehen wir sie stets als solche an… und verzweifeln wir nie daran, so oft wir auch den gleichen „Fehler“ wieder machen! Irgendwann ist jedes alte Muster ausradiert.Artikel teilen auf:

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Im Kampf gegen das Ego

In den letzten Tagen hatte ich mit mehreren Menschen zu tun, die sich momentan intensiv mit ihrem Ego beschäftigen beziehungsweise mit bestimmten Aspekten davon – Einsamkeit, Empfinden von Ausgegrenztheit oder Nutzlosigkeit, Verletzung, Liebeskummer. Und sie kämpfen! Sie kämpfen gegen diese Empfindungen und gegen den Schmerz, den sie spüren. Sie wollen ihr Ego besiegen und die Zufriedenheit finden, die tief in jedem von uns stets vorhanden ist.

Doch der Kampf ist nicht das richtige Mittel! Es gibt ein physikalisches Gesetz, das besagt: Jede Kraft erzeugt eine Gegenkraft! Je mehr wir gegen das Ego und seine Eigenschaften ankämpfen, desto mehr Kraft verleihen wir ihnen!
Loslassen ist der erste Grundsatz… den Kampf loslassen. Uns einmal so akzeptieren, wie wir sind, mit der Einsamkeit, den negativen Empfindungen, dem mangelnden Selbstwertgefühl, einfach hinschauen und sagen: Ja, so bin ich und so ist es gut. Wenn es uns gelingt, uns so zu akzeptieren, wie wir sind, dann spielt es überhaupt keine Rolle, wie viele „schlechte“ Eigenschaften wir haben!

Nur: Was machen wir mit dem Schmerz in uns, der durch diese Empfindungen hervorgerufen wird? Er ist mehr als unangenehm, und vor allem: Er ist es, den wir im Grunde genommen unbedingt loswerden wollen! Aber auch gegen ihn ist der Kampf aussichtslos! Je mehr wir uns mit ihm beschäftigen, desto mehr Macht geben wir ihm.
Das Ego sucht Emotionen, das ist eine Tatsache. Kann es keine lustvollen bekommen, so nimmt es mit unangenehmen, schmerzlichen, quälenden vorlieb – Hauptsache es hat überhaupt welche! Und wir müssen zuallererst aufhören, diese Emotionen durch unsere Hinwendung und unser Selbstmitleid zu füttern. Wir müssen sie ignorieren – so weit uns das gelingt –, indem wir uns ablenken und uns durch sie nicht von unseren übrigen Tätigkeiten, Pflichten und Vergnügen abhalten lassen. Dann „verhungern“ sie mit der Zeit und lassen von uns ab.
Zugegeben, das ist nicht ganz einfach. Wir müssen uns intensiv bemühen, unser Denken immer wieder von den quälenden Erinnerungen und kreisenden Gedanken abzuziehen. Es hilft in der Regel auch nicht, uns durch „rationale“ Argumente selbst überzeugen zu wollen, beispielsweise warum die Verletzung, die uns jemand zugefügt hat, eigentlich gar nicht so schlimm ist, warum sich der Liebeskummer nicht lohnt und mehr dergleichen; denn auch solche Gedanken sind schliesslich nichts anderes als eine Form der Hinwendung zu unserem Schmerz.
Ich persönlich versuche in solchen Situationen, mein Ego nicht ernst zu nehmen: „So, so, du willst meine Aufmerksamkeit?“, sage ich jeweils zu ihm (zu mir selbst!), „War es dir in letzter Zeit zu wohl, dass du jetzt unbedingt einen Schmerz suchst? Na, dann behalte ihn doch, wenn es dir Spass macht! Ich nehme ihn dir bestimmt nicht weg.“ Und dann wende ich mich davon ab.
Eine andere Methode, die je nach Fall auch gut wirkt, ist den Schmerz in Wut zu verwandeln (mit Wut können wir in der Regel besser umgehen – und sie tut vor allem nicht weh!). Sind wir beispielsweise verletzt worden, können wir uns sagen: „Was erlaubt sich X überhaupt, mir so etwas zu sagen/anzutun? Unsensibel und rücksichtslos ist er! Der hat ja keine Ahnung, wer ich bin!“ Und mehr in der Art. Nachdem wir dann Wut verspüren und sie eine Weile ausgelebt haben (und der Schmerz sich gelegt hat), sollten wir sie allerdings wieder loswerden. Dazu können wir beispielsweise nach Gründen suchen, warum X sich so verhalten haben könnte: „Er wurde halt auch schon oft verletzt, er kann gar nicht anders…“ Oder wir ziehen einfach einen Schlussstrich und verzeihen.

Es gibt verschiedene Wege, mit diesem Schmerz umzugehen, jeder muss seinen eigenen finden. Entscheidend ist in jedem Fall – wie gesagt –, nicht dagegen anzukämpfen und sich nicht direkt damit beschäftigen.
Bis der Schmerz dann endgültig von uns gegangen ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als ihn anzunehmen und zu ertragen. Dieses Thema habe ich in einem früheren Beitrag auf meiner Website „Selbstliebe“ näher erläutert, siehe hier.Artikel teilen auf:

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