Die Kraft des Dhikr

Dhikr (auch: Zikr oder Zekr) ist ein arabischer Begriff aus dem Sufismus und heisst wörtlich „Erinnerung“; gemeint ist die fortwährende Erinnerung an das Göttliche. Das Dhikr ist ein Wort oder ein kurzer Satz, den der Sufi bei der Initiation von seinem Meister bekommt; er soll ihn fortan unablässig mit jedem Atemzug in Gedanken aufsagen, bis diese Formel ins Herz fliesst und jeder Atemzug zu einem Gebet wird. Im Sufismus wird oft La ilaha illa’llah (Es gibt kein Gott ausser Gott) oder einer der 99 Namen Gottes als Dhikr verwendet.
Wir kennen diese Praktik eher als Mantra (Sanskrit: Instrument des Denkens, Rede); bekannte Beispiele sind das OM (der Urklang) oder das tibetische Om mani padme hum (Ausdruck des liebenden Mitgefühls). Im Christentum wird das Herz Jesu-Gebet (Herr Jesus Christus erbarme dich meiner) als Mantra praktiziert. Und schliesslich sind auch Affirmationen, die wir zur „Programmierung“ unseres Unbewussten verwenden, nichts anderes als Mantras.

Ein Dhikr oder Mantra, wie man es auch nennen will, ist eine wertvolle Hilfe, um unsere unruhigen Gedanken zum Schweigen zu bringen und sie – besonders bei Tätigkeiten, die unser Denken nicht erfordern – am sinnlosen Umherschweifen zu hindern.
Jeder kann für sich selbst ein Dhikr finden:
• Es sollte ein kurzer Satz sein, es kann eine Gebetsformel, eine Lobpreisung an das Göttliche, eine spirituelle Bitte oder Ähnliches sein. Beispiele: Alles ist Eins; Du bist Alles; Lieber Gott, schenk mir Urvertrauen; Göttliche Mutter, ich gehöre Dir.
• Da es sich nicht um „leere Worte“ handeln soll, ist es von Vorteil, wenn wir das Dhikr in unserer Muttersprache formulieren (auch Dialekt!).
• Eine Möglichkeit, ein Dhikr zu finden, das aus unserem Herzen stammt, ist eine kurze Meditation: Wir lassen uns in uns selbst fallen mit dem Vorsatz, das persönliche Dhikr zu erkennen, und horchen in uns hinein. Vielleicht steigt ein Dhikr auch plötzlich unerwartet und „ungefragt“ in uns auf.

Dieses gefundene, persönliche Dhikr behalten wir unser Leben lang, wir ändern es nicht mehr, und wir praktizieren es wie folgt:
• Wir wiederholen es in Gedanken in jeder Situation, bei der wir nicht „denken“ müssen: bei Routinetätigkeiten wie Bügeln und Putzen, beim Joggen und Wandern, während Zugfahrten, wenn wir auf jemanden warten – einfach immer dann, wenn wir sonst irgendwelchen unnützen Gedanken nachhängen würden.
• Wir können es auch an unseren Atem koppeln: „Lieber gott“ beim Einatmen, „schenk mir Urvertrauen“ beim Ausatmen.
• Es empfiehlt sich, dabei das Bewusstsein (die Konzentration) auf den Punkt hinter unserem Herzen in der Mitte der Brust zu halten.
• Am Anfang denken wir diesen Satz bewusst, aber schon nach kurzem Praktizieren stellt sich ein mechanisches Aufsagen ein – etwas in uns übernimmt die Rezitation. Das führt allerdings dazu, dass unser Gehirn wieder „freie Kapazität“ hat und erneut Gedanken aufkommen und herumschweifen lässt; wir werden sogar feststellen, dass die Rezitation und andere Gedanken gleichzeitig ablaufen! Das bedeutet, dass wir unser Bewusstsein willentlich immer wieder zur Rezitation zurückrufen und uns darauf konzentrieren müssen.

Ein Dhikr, das wir bereits für eine Weile praktiziert haben, übernimmt auch die Funktion eines Stossgebets: Geraten wir in eine Gefahr oder kritische Situation, haben wir Angst oder machen uns Sorgen, steigt es wie „automatisch“ aus unserem Herzen auf und schenkt uns augenblicklich Ruhe und Gelassenheit. Über meine persönlichen Erlebnisse mit Stossgebeten erzähle ich das nächste Mal…

Artikel teilen auf:
Facebooktwitter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert