Bis zum letzten Rest

Meine Mutter ist im Krieg aufgewachsen, in der Schweiz zwar, die am Kriegsgeschehen nicht beteiligt war, doch die Lebensmittel waren auch bei uns rationiert. Sie hat mir immer wieder erzählt, dass sie mit einem Ei pro Monat, mit x Gramm Butter und so weiter auskommen mussten.

Das hat sie geprägt, wie viele Menschen, die jene Zeit miterlebt haben. Sie ging mit Esswaren immer sorgfältig um, warf nie etwas weg. Manchmal hat sie mich sogar ein bisschen genervt, wenn sie die Pfanne mit dem Kartoffelstock ausschabte, bis kein Krümelchen mehr darin war, die Pfanne der Tomatensosse noch mit einem Stückchen Brot ausputzte, bevor sie sich endlich auch an den Tisch setzte und wir essen konnten.

Bei vielen Menschen kann man hingegen beobachten, dass sie ihren Teller nicht „sauber“ aufessen, einige Streifchen Karottensalat, die letzten Reiskörner, einen Klecks Vanillecreme liegen lassen.
Seit vielen Jahren mache ich das nicht mehr, ich picke auch das letzte Reiskorn auf, ist es noch so mühsam. Nicht weil ich keine Lebensmittel verschwenden will, damit es weniger Hunger auf der Welt gibt; daran ändert sich dadurch nichts.
Sondern aus dem Gedanken des Karma Yoga, immer alles so gut wie möglich zu tun. Was gibt es denn objektiv für einen Grund, etwas – und sei es noch so wenig – auf dem Teller zu lassen? Ist es nicht etwa reine Faulheit? Oder Achtlosigkeit? Nachlässigkeit? Mangelnde Wertschätzung für das Geringe?
Was es auch immer ist: Es widerspricht dem Grundprinzip des Karma Yoga. Und wohl jeder spirituellen Richtung.

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Winterwanderungen

Wandern im Winter ist stiller als im Sommer: Man trifft weniger Menschen, die Natur ruht und schweigt, es gibt nicht so viel zu sehen. Man beschäftigt sich vermehrt mit den eigenen Gedanken.

Vor ein paar Wochen war ich einige Tage lang unterwegs in den Bergen und habe ein bisschen auf mein Leben zurückgeblickt – nicht etwa, weil ich kürzlich 60 geworden bin und nun mindestens zwei Drittel meines Lebens hinter mir habe, sondern vielmehr weil ich mich seit einiger Zeit frage, in welche Richtung ich künftig gehen soll.
Dabei habe ich Möglichkeiten und Gelegenheiten gedanklich hin- und hergewälzt, über Sinn und Unsinn einiger meiner Vorhaben sinniert, mir wichtige Aussagen aus dem kürzlich gelesenen Buch von Konstantin Wecker, „Die Kunst des Scheiterns“, durch den Kopf gehen lassen… Ohne zu irgendwelchen vernünftigen und konstruktiven Schlüssen zu kommen.

Erst als ich in der immer noch tiefverschneiten Landschaft an einzelnen Büschen schon erste grüne Blättchen entdeckte und plötzlich eine Biene und einen Schmetterling nach Nektar suchend umherfliegen sah, wurde mir schlagartig bewusst: „Hör auf, dir Gedanken zu machen. Lebe den Augenblick, lass dich führen von der Vorsehung, von der Göttlichen Mutter, dein Weg breitet sich Schritt um Schritt vor dir aus. Du brauchst nur die Augen offen zu halten und zuversichtlich deinen Weg zu gehen. Tue jeden Tag, was zu tun ist, was auf dich zukommt, ohne nach Sinn und Zweck zu fragen.“

Ja, manchmal vergesse auch ich die Prinzipien des Karma Yoga, verstricke mich in Gedanken und Fragen und Wünschen und Sorgen.
Gut holt mich das Leben selbst immer wieder da raus 🙂

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Universelle Jahreswechselwünsche

Milchstrasse
Bild: NASA, dankend übernommen aus Wikicommons.

Unser Sonnensystem befindet sich eher am Rande der Milchstrasse, unserer Galaxis. Die Sonne ist darin einer von etwa 300 Mil­liar­den Sternen, die Milchstrasse eine von vielen Milliarden Galaxien im Universum. Sogar Universen könnte es mehrere geben, wie einige Wissenschaftler glauben…

Nein, ich will nicht darauf hinaus, wie win­zig und unbedeutend unsere Erde und wir Menschen sind. Im Gegenteil.
Es ist wunderbar, dass wir ein Teil dieses grossen Ganzen sind! Wie Blaise Pascal sagte: „Das Weltall ist ein Kreis, dessen Mittelpunkt überall, dessen Umfang nirgends ist.“ Jeder Mensch, jedes Wesen ist der Mittel­punkt des Universums.
Und jeder Mensch ist uner­lässlich, damit dieses grosse Ganze überhaupt so existiert, wie es ist, egal wie viele Milliarden anderer Sterne und Planeten und Wesen es im All ausser uns noch geben mag.
Jeder einzelne Stern, jeder einzelne Planet, jedes einzelne Wesen ist einzigartig.

Mit dieser Erkenntnis dürfen wir, sollen wir, jeder auf seine Weise einzigartig sein. Und in einzigartiger Weise den eigenen Lebensweg gehen, im Bewusstsein, dass jeder von uns der Mittelpunkt seines eige­nen Universums ist.

Ich wünsche euch für die kommenden Festtage und fürs Neue Jahr viele einzigartige Augenblicke und bereichernde Begegnungen mit einzigartigen Menschen. Und vor allem, dass ihr nie vergesst, wie einzigartig ihr seid.

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Achtsamkeit

In anspruchsvollen Lebenssituationen, die wir alle ja von Zeit zu Zeit durchlaufen, sind wir intensiv damit beschäftigt, die jeweilige Situation zu bewältigen und die Lehren daraus zu ziehen.

In den Zeiten, in denen es uns gut geht, alles „normal“ läuft hingegen… ja, natürlich dürfen wir da auch ausspannen und das Leben geniessen! Die Herausforderungen kommen schliesslich schneller als erwünscht zurück.
Dennoch sind das die Zeiten, um in Ruhe und Gelassenheit an unseren kleineren und grösseren „Untugenden“ zu arbeiten, wie mangelnde Selbstliebe (zugegeben, ein Lebensprojekt!), schwaches Urvertrauen und, konkreter, beispielsweise an bestimmten Verhaltensmustern und Gewohnheiten, einzelnen Ängsten, Anhaftung und Achtsamkeit.

Ich beschäftige mich momentan mit der Achtsamkeit, weil mir in letzter Zeit vermehrt aufgefallen ist, wie oft ich in die Küche gehe, um… und wenn ich da angekommen bin, nicht mehr weiss, was ich da wollte, weil ich mit meinen Gedanken schon wieder anderswo bin; dass ich beim Zähneputzen nicht mehr weiss, ob ich unten (oder oben) schon geputzt habe; auch weil ich einige schlechte Gewohnheiten in diesem Zusammenhang loswerden will, wie vor dem Computer essen, anstatt mich ganz aufs Essen zu konzentrieren. Und ganz allgemein, weil ich in der Gegenwart leben und nicht mit meinen Gedanken ständig ausserhalb der Sekunde, in der ich mich gerade befinde, weilen will.
Keine einfache Aufgabe. Und anstrengend!!!

Wenn ihr gerade nicht wisst, woran arbeiten, versucht es auch einmal. Immer ganz im Augenblick zu sein, ganz konzentriert auf das, was ihr gerade tut, mit voller Hingabe. Erlaubt euren Gedanken nicht abzuschweifen, es existiert keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur der Moment. Und wenn ihr es schafft, diesen Zustand zehn Minuten am Stück durchzuhalten lasst es mich wissen – und verratet mir bitte bitte euren Trick :mrgreen:

Dazu noch eine hübsche Zen-Geschichte.

Ein Mann fragte einmal einen alten Zen-Meister: „Wie machst du das, dass du immer so glücklich bist?“
Der Zen-Meister antwortete: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich arbeite, dann arbeite ich.“
Der Mann schaute ihn verständnislos an: „Das tue ich doch auch! Dennoch bin ich nicht glücklich.“
„Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich arbeite, dann arbeite ich“, wiederholte der Weise.
Nun kam Verärgerung im Mann auf und er konnte sie nicht verbergen. „Du machst dich über mich lustig!“, rief er empört.
Milde lächelnd gab der Meister die Erklärung: „Gewiss liegst du, gehst, isst und arbeitest. Doch während du liegst, überlegst du, wohin du danach gehen wirst, und während du gehst, fragst du dich, was du essen wirst und beim Essen denkst du über deine nächste Arbeit nach. Deine Gedanken sind ständig woanders und nicht da, wo du gerade bist. Das Leben findet aber in diesem Augenblick zwischen Vergangenheit und Zukunft statt; wenn du dich ganz darauf einlässt, kannst du glücklich werden.“

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Eine leidvolle Situation ändern!

Wie lange ist es her, dass ich auf der Strasse ein fröhliches Lied gesummt habe? Lange, viel zu lange, ich erinnere mich nicht einmal. Doch heute habe ich es wieder getan, plötzlich ist es mir bewusst geworden, nachdem ich schon eine ganze Weile unterwegs war.

Seit weit über einem halben Jahr lebte ich in einer für mich sehr belastenden Situation. Vor ein paar Tagen habe ich sie definitiv geändert. Warum ich so lange damit gewartet habe? Weil ich mir nicht sicher war, ob die Stimme in mir, die „Schluss!“ sagte, aus meinem Ego oder aus meiner Seele kam, desgleichen bei der anderen Stimme, die mir „Geduld!“ zurief. Einmal war diese Stimme aktiver, einmal die andere – und ich war ratlos. Ich. Ich, die ich immer behaupte, dass wir sehr wohl die Stimme des Ego von der Stimme der Seele unterscheiden können.
Zu dieser Aussage stehe ich immer noch. Wir können die beiden Stimmen unterscheiden – wenn wir es wollen. Aber starke Gefühle oder Emotionen hindern uns manchmal daran; wir wüssten zwar, was besser für uns wäre, aber…
Das Problem liegt oft auch darin, dass wir zu wissen meinen, wie es sein wird, wenn wir das eine oder das andere tun, und Angst vor dem Leiden haben. Aber später, wenn wir dann gehandelt haben, stellen wir fest, dass es überhaupt nicht so gekommen ist, wie wir befürchtet hatten.

Nun da ich meine innere Zufriedenheit und meinen Seelenfrieden wieder gefunden habe, frage ich mich natürlich: Was sollte ich aus dieser belastenden Situation lernen? War es eine Übung in Gleichmut oder eine in Entschlossenheit, etwas zu ändern?
Es spielt keine Rolle. Das ist mir jetzt ebenfalls klar geworden. Ich hätte Gleichmut üben können, wenn ich mich bemüht hätte, die Situation gleichmütig zu ertragen. Das habe ich offenbar nicht geschafft. Ich hätte Entschlossenheit und Selbstliebe üben können, wenn ich den Schritt, den ich nun gemacht habe, schon viel früher gemacht hätte. Nun ja, jetzt habe ich ihn ja gemacht, und wertvolle Erkenntnisse daraus gewonnen.

Ich erzähle euch das, um euch zu ermuntern, nicht so lange zu warten, wie ich es getan habe. Mein spiritueller Lehrer sagte mir immer: „Solange es dir gut geht, brauchst du an deinem Leben nichts zu ändern. Aber wenn es dir nicht mehr gut geht, dann ändere etwas, und zwar sofort!“
Nehmen wir also dieses klare Symptom zum Wegweiser: Wenn es uns schlecht geht, wenn schlaflose Nächte, kreisende Gedanken uns quälen, wenn wir unseren inneren Frieden verloren haben – bewegen wir uns, ändern wir die Situation! Ohne Angst vor dem, was kommt. Es wird immer etwas sein, das uns weiter bringt, das uns etwas lehrt, immer eine Erfahrung, nie ein Fehler. Und uns am Ende glücklicher macht.

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Die Sinnlosigkeit des Lebens

In einem Internet-Forum, in dem über alles Mögliche geredet wird, habe ich eine Diskussion verfolgt, die ihren Ausgang bei der Aussage einer Frau nahm, die in ihrem Leben keinen Sinn mehr sieht.

Da kamen dann von den anderen Aussagen und Ratschläge wie:
• Der Sinn des Lebens ist der, den man selbst seinem Leben gibt.
• Die kleinen Freuden des Lebens geniessen und möglichst schmerzfrei durchkommen – mehr ist da nicht.
• Mach einfach das Beste daraus.
• Das ist doch eine Luxusfrage! Du würdest sie dir nicht stellen, wenn du dich fortwährend darum bemühen müsstest, etwas zu essen zu finden usw.
• Wenn man keinen Sinn im Leben sieht, muss man es schaffen, ohne Sinn zu leben.
• Das Leben hat keinen Sinn, was solls?

Ja ja ja, alles schön und gut. Ich habe mich jedoch in die Frau einfühlen können, ich selbst habe schon im Teenageralter nach dem Sinn des Lebens gesucht und mir immer wieder gesagt: Einfach 60, 70 oder von mir aus auch 100 Jahre leben, ein bisschen Spass haben, ein bisschen leiden, ein Ziel verfolgen und es erreichen und ein neues Ziel stecken… das kann es doch nicht sein? Es muss einen tieferen Sinn geben!

Ich war viele, viele Jahre auf der Suche. Irgendwann – ich war da schon Anfang 40 – habe ich den Sinn des Lebens, zumindest für mich, dann gefunden. Ein Zitat von Sri Aurobindo hat mir später bestätigt, was ich selbst erkannt hatte:

Die innere Einsamkeit kann nur durch die innere Erfahrung der Einheit mit dem Göttlichen geheilt werden; keine menschliche Beziehung kann diese Leere füllen.

Der einzige Weg, der Langeweile und dem Überdruss des irdischen Daseins auf Dauer zu entkommen und nicht ständig nach einem neuen „Kick“ zu suchen, liegt darin, die eigene innere Entwicklung zum Ziel zu erklären – das macht das Leben jeden Tag von neuem wirklich spannend!

Jedes Mal, wenn ich diesen Sinn und dieses Ziel vorübergehend aus den Augen verloren hatte, bin ich auf die Dauer nicht glücklich geworden, selbst wenn ich dabei vorübergehend ein „irdisches Glück“ gefunden hatte. Nichts hält an, alles ist vergänglich…

Jedes Mal habe ich zu meinem Weg zurückgefunden und mir gewünscht, ich hätte ihn nie verlassen, ich wäre achtsamer gewesen, willensstärker.
Das beschreibt die „Autobiografie in fünf kurzen Kapiteln“ sehr schön mit wenigen Worten. Ich erkenne mich darin wieder.

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Besitz = Leiden?

Ein Bild aus dem Buddhismus, das wir alle kennen, ist der besitzlose Bettelmönch. Dieses Armutsgelübde gibt es auch bei christlichen Orden.
Viele religiöse Traditionen und spirituelle Wege betrachten den Besitz als eines der grossen Hindernisse zur Glückseligkeit, als etwas, was Leiden verursacht. Nicht zu Unrecht, ist es doch sehr, sehr schwierig, nicht an Besitz zu haften und sich Besitz nicht zu wünschen oder seinen Verlust nicht zu fürchten.
Doch das ist der springende Punkt: Nicht der Besitz selbst ist das Problem, sondern unsere Anhaftung an ihn. Es ist für die meisten Menschen leichter, ganz auf etwas zu verzichten, als massvoll zu geniessen: Ein bisschen schreit immer gleich nach mehr!
Man könnte also auch sagen: Die grössere Leistung ist es, zu besitzen und zu geniessen, ohne den Verlust zu fürchten, als von vornherein auf alles zu verzichten und sich somit nicht um den Verlust sorgen zu müssen! Das bedeutet: Ich darf mir ohne zu zögern ein schönes Auto kaufen, wenn ich es mir finanziell leisten kann und mich an ihm erfreue – sofern es mir ehrlich nichts ausmacht, es vielleicht morgen schon nicht mehr zu besitzen und wieder mit der Bahn zu fahren. Ich darf eine Beziehung mit einem geliebten Menschen eingehen, eine Familie gründen – sofern ich bereit bin, auch allein zu leben, und dem geliebten Menschen zugestehe, jederzeit von mir zu gehen und ohne mich glücklich zu sein.

Wünsche und Anhaftung sind urmenschlich: Wie könnten wir lernen, mit ihnen umzugehen und sie loszuwerden, wenn wir nie etwas besitzen?
Das wäre als ob wir das Schwimmen erlernen wollten, ohne je ins Wasser zu springen…

Diese Grenze, nicht an Irdischem zu hängen und doch alles auf dieser Welt zu geniessen, ist allerdings schwer zu ziehen. Es ist eine Gratwanderung.
Denn solange ich etwas besitze und geniesse, ist es einfach mir einzureden, dass ich es kein bisschen vermissen würde, wäre es nicht mehr da! Dennoch ist es eine brauchbare Methode, sich jeweils zu fragen: „Würde es mir fehlen, wenn ich es nicht mehr hätte?“
Ferner sollten wir sofort an Anhaftung denken, wenn wir etwas „übertrieben“ geniessen, also einen Besitz oder Genuss verherrlichen (man hört manchmal Menschen völlig hingerissen von einer Speise, einer Reise, einem Erlebnis schwärmen). Auch Aussagen wie „Ich kann mir nicht vorstellen, ohne sie zu leben“, „Dieses Ding ist mir sehr, sehr wichtig“, „Das möchte ich nicht missen“ – Aussagen, die oft „nur so dahergesagt“ scheinen – lassen Anhaftung vermuten und sind bewusst zu hinterfragen und zu vermeiden.
Im Übrigen sollten wir uns ehrlich bemühen, uns aber nicht verurteilen und nicht verzweifeln, wenn wir nicht immer klar sehen oder feststellen müssen, dass wir uns getäuscht haben: Es lehrt uns ja das Leben… indem es uns Dinge und Menschen nimmt, an denen wir hängen, und uns so immer wieder vor Augen führt, wie stark unsere Anhaftung noch ist, und uns die Chance bietet, weiter an uns zu arbeiten.

Dazu noch eine Geschichte aus Indien.

Der Asket und das Reh
Der weise König Bharata betete eines Morgens am Ufer des Flusses, als eine trächtige Rehgeiss, die gerade ihren Durst stillte, ob dem Gebrüll eines nahen Löwen so erschrak, dass sie ins Wasser fiel und da ihr Junges gebar. Sie schaffte es dann mit letzter Kraft ans Ufer, wo sie vor Erschöpfung starb.
Bharata sah das mutterlose Rehkitz im Strom treiben; mutig stürzte er sich hinein und rettete es. Er nahm es mit in seine Waldeinsiedelei, fütterte es, beschützte es gegen die wilden Tiere, streichelte und tröstete es, wenn es weinte. Trotz seiner spirituellen Pflichten, fand er immer genügend Zeit für das Kitz. Er sagte sich: „Dieses hilflose Tier ist mir von Gott selbst gesandt worden, damit ich es grossziehe und beschütze. Das ist ein Gebot der Barmherzigkeit einem leidenden Geschöpf gegenüber.“
Er verbrachte mehr und mehr Zeit mit dem Kitz, er spielte, unternahm Spaziergänge und ass mit ihm; es schlief sogar an seiner Seite. Der Einsiedler empfand grosse Liebe für das Junge, das er gerettet hatte. Mit der Zeit hing er so sehr an ihm, dass er ständig in Sorge war, es könnte ihm etwas zustossen, wenn er einmal einen Augenblick lang nicht aufpasste; er dachte den ganzen Tag an nichts anderes mehr als an das Wohlergehen seines Tieres.
Als Bharatas Ende schliesslich nahte und er im Sterben lag, zog sein ganzes Leben vor seinem geistigen Auge vorbei. Er sah und war tief betroffen. „Meine Frau, meine Familie, mein Königreich habe ich verlassen“, klagte er, „damit ich in dieser Waldeinsiedelei von allen Anhaftungen frei werde – und bin hier der Anhaftung an ein Rehkitz verfallen…“

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Freedom is just another word…

… for nothing left to lose (Freiheit ist bloss ein anderes Wort für Nichtsmehrzuverlierenhaben) – sang Janis Joplin in ihrem Lied „Me and Bobby McGee“ gestern im Radio. Ich drehte die Lautstärke voll auf und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Beim Ausklingen wurde mir wieder einmal schlagartig bewusst, wie sehr unsere Anhaftung an Dinge und Menschen unsere innere und äussere Freiheit einschränkt. Darüber – ebenfalls inspiriert von diesem Song – habe ich früher schon auf dieser Website geschrieben, siehe hier.

Was ich gestern aber noch schmerzlicher realisiert, ja plötzlich beinahe physisch gespürt habe: Die Anhaftung frisst eine Menge Energie. Energie, die uns dann fehlt für Initiativen, Unternehmungsgeist, Entscheidungen, bis hin zur Lebensfreude.
Egal was das Objekt unserer Anhaftung ist, ein Besitzstück (wie ein Haus), unser Job, ein geliebter Mensch, eine Lebensweise – immer ist ein Teil unserer Energie in dieser Anhaftung gebunden, sei es in der Angst, das Objekt nicht zu erlangen oder zu verlieren, sei es in glücklichen Gedanken daran. Meistens ist uns nicht bewusst, wie viel Energie wir darin verschleudern, denn unsere Sorge oder Freude steht nicht ständig im Vordergrund unserer Gedanken, vielmehr irgendwo im Hinterkopf oder in einem verborgenen Winkel unseres Herzens.

Was können wir gegen die Anhaftung und besonders gegen diese Energieverschwendung tun, wie können wir uns daraus befreien und diese Freiheit erlangen, die wir nur geniessen, wenn wir nichts besitzen, was wir zu verlieren fürchten?

Natürlich: Urvertrauen, Gleichmut und Selbstliebe helfen dagegen. Heute möchte ich euch aber zwei konkretere Anregungen geben, über die ich bei meinem langen Spaziergang vorhin nachgedacht habe – in eigener Sache, denn ich spüre, wie ich selbst in letzter Zeit ebenfalls der Anhaftung an eine bestimmte Lebensweise erlegen bin.

• Treffen wir unsere Entscheidungen und handeln wir so, als ob es das Objekt unserer Anhaftung nicht gäbe. Mit anderen Worten: Die Anhaftung ist zwar da, aber wir übergehen sie einfach, wir lassen uns durch sie nicht an dem hindern, was wir tun möchten.

• Arbeiten wir ganz intensiv an unserem Urvertrauen. Also: Vertrauen wir darauf, dass wir im Leben geführt werden, und zwar dahin, wo es gut für uns ist, und hören wir deshalb auf, etwas Bestimmtes zu wollen oder nicht zu wollen. Sagen wir mit tiefer Überzeugung zum Göttlichen: Dein Wille geschehe.

Zu diesen beiden Punkten muss ich unbedingt ergänzen, dass der Grat zwischen „mich führen lassen“ und „eine Sache schlittern lassen“ ein ganz, ganz schmaler ist! Gerne und oft zitiere ich das Gebet:

Lieber Gott, gib mir die Kraft und den Mut zu ändern, was ich ändern kann, die Gelassenheit zu ertragen, was ich nicht ändern kann, und die Weisheit zwischen den beiden zu unterscheiden.

Dass selbst dieses Lebensmotto sich wegen der Schwierigkeit der weisen Unterscheidung nicht immer so einfach anwenden lässt, zeigt mein eigenes Beispiel. Ich befinde mich seit geraumer Zeit in einer Lebenssituation, die mir nicht gefällt. Ich kann abwarten, bis mir eine Entscheidung von aussen aufgezwungen wird, sie wird früher oder später unweigerlich kommen. Oder aber ich kann die Situation selbst ändern, allerdings habe ich keine echten Wahlmöglichkeiten, ich kann mich nämlich nur für eine Richtung entscheiden, und zwar für diejenige, in die ich nicht will.
Hm… nicht will? Wollen, nicht wollen… Solche Formulierungen sollten uns immer stutzig machen. Befinde ich mich in dieser Situation mit nur einem ungeliebten Ausweg, weil ich lernen soll, sie mit Gelassenheit zu ertragen, bis das Göttliche mich in die von Ihm bestimmte Richtung führt?
Oder erwartet das Göttliche von mir, dass ich mein Leben endlich selbst in die Hand nehme und die Entscheidung treffe, war ich bisher einfach nur zu feige dazu?
Wie viel Ego steckt im Ändernwollen, wie viel im Nichtändernwollen?

Ich weiss es nicht. Meine Innere Stimme, die mich sonst so zuverlässig leitet, schweigt. Wahrscheinlich weil ich mich an eine andere meiner Lebensweisheiten halten soll: Solange ich nicht ganz sicher weiss, in welche Richtung ich gehen soll, ändere ich nichts an meiner Situation. Zumindest nichts Entscheidendes, sondern ich treffe nur, wie oben unter dem ersten Punkt erwähnt, meine „kleinen“ Entscheidungen unabhängig vom Objekt meiner Anhaftung.

Bringen wir einerseits den Mut auf, die Anhaftung zu übergehen und unseren Weg zu beschreiten, und andererseits das Urvertrauen und den Gleichmut, unser Wollen/Nichtwollen loszulassen, vergeuden wir zumindest darin keine Energie mehr. Damit ist schon viel gewonnen.

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Der Planet, auf dem Gott wohnt

Ich wollte über einiges meiner gegenwärtigen Lebenssituation nachdenken und bin mit dieser Absicht für ein paar Tage ans Meer gefahren, allein.
Unterwegs im Auto hörte ich einen Science-Fiction-Roman von Andreas Eschbach, „Quest“, ein Audiobuch, das mein Liebster mir eine Woche davor gegeben hatte. Science-Fiction ist nicht gerade mein bevorzugtes Genre, aber da ich von diesem Autor schon einiges gelesen hatte und ihn tiefgründiger wusste als irgendeiner, der einfach über Aliens und interstellare Kriege schreibt, hatte ich einmal hinein gehört und die spannende Geschichte packte mich schnell. So fand ich es auch eine gute Ablenkung von meinen Gedanken, die ich mir für die langen Spaziergänge am Strand aufsparen wollte.
Etwa eine Stunde bevor ich mein Ziel am Meer erreichte, kam ich im Roman an eine Stelle, die mich aufhorchen liess. Bis dahin wusste man nicht, worum es Quest, dem todkranken Kommandanten des Raumschiffs, wirklich ging. Man wusste zwar, dass er den sagenumwobenen „Planeten des Ursprungs“ suchte, von dem alles Leben des Universums ausgegangen sein soll. Aber erst jetzt, fast am Schluss des Romans, erfährt man, dass er ihn suchte, weil auf ihm angeblich Gott wohnt, und diesem Gott zürnte er und er wollte ihm die Meinung sagen und von ihm endlich wissen, warum so viel Schreckliches passiert war in seinem Leben.
Nun hatten sie den Planeten des Ursprungs also endlich gefunden und das Raumschiff befand sich auf einer Umlaufbahn um ihn. Nur Quest ging auf den Planeten hinunter, während die anderen im Raumschiff blieben und auf ihn warteten. Lange, sehr lange, bis er endlich zurückkehrte.
Natürlich fragten sie ihn, was er erlebt habe. Er erzählte, er sei einfach herumgelaufen und habe irgendwann angefangen Gott zu rufen und ihm schliesslich, ohne ihn zu sehen oder zu spüren, seinen ganzen Groll herausgeschrien.
„Und dann?“, fragte ein Besatzungsmitglied, „Was geschah dann?“ Alle waren äusserst gespannt.
Aber Quest antwortete nur: „Nichts. Es geschah nichts.“
Er war frustriert, verzweifelt gewesen, dass er nach der Mühsal, um Gottes Planeten zu finden, nichts erreicht, keine Antwort auf seine Fragen gefunden hatte. Er sagte:

Ich habe einfach aufgegeben. Vielleicht gibt es überhaupt nichts, das man finden könnte, womöglich existiert nichts, das man erreichen könnte. Das ging mir wie ein Blitz durch den Kopf. Ich hatte plötzlich das Gefühl, das Spiel zu durchschauen. Ein infames Spiel. Wir sind so geschaffen, dass wir den Drang in uns fühlen, nach etwas zu streben, etwas zu wollen, uns nach etwas zu sehnen. Aber wir wissen nicht genau was eigentlich. Solange wir jung sind, suchen wir es in der Liebe zwischen Mann und Frau, später im Reichtum, im Einfluss, in Reisen oder Abenteuern. Und immer wenn wir etwas erreicht, etwas gefunden, etwas erlangt haben und feststellen, dass es nicht das war, wonach wir gesucht haben, sagen wir uns, dass wir einfach noch ein Stück weiter gehen müssen, dass es nicht mehr weit sein kann, dass es gleich um die nächste Ecke sein muss, endgültig und ein für alle Mal.
Aber was, wenn dieser Drang einfach ins Leere läuft, wenn er uns nach etwas suchen lässt, das überhaupt nicht existiert, wenn er nur dazu da ist, uns ein Leben lang in Bewegung zu halten, damit das Schauspiel immer weiter geht, das Drama der Hoffnungen und Leidenschaften, über das ein böser Gott sich amüsiert?
Ich beschloss, mich zu verweigern, ich beschloss mich hinzusetzen und nichts mehr zu tun, einfach nichts mehr zu wollen oder zu wünschen, auch nur zu denken, weil mein Denken bloss eine andere Art des Wollens, Planens und Strebens gewesen wäre.
Also habe ich mich hingesetzt und beschlossen, absolut nichts mehr zu tun, egal was passieren würde. Ich sagte mir, dass ich im schlimmsten Fall sterben würde, aber das würde ich sowieso. Und so habe ich es gemacht, ich habe mich hingesetzt und mich geweigert, irgendetwas zu tun.
[…]
Ich sass einfach nur da. Ich fiel in dämmrigen Schlaf, schreckte immer wieder hoch, doch als die Müdigkeit übermächtig wurde, wehrte ich mich nicht mehr und sank zur Seite. Ich weiss noch, dass ich dachte, ich würde nun sterben, und dass es mir gleichgültig geworden war. Aber ich bin wieder aufgewacht. Ich lag da, starrte vor mich hin, in das Gespinst der Flechten und es war mir egal, dass ich noch lebte. Ich wartete nicht einmal mehr auf irgendetwas. Ich hatte sogar aufgehört, mich zu verweigern.

Wundervoll, dieses vollständige Loslassen! Es erinnerte mich an die Geschichte des Buddha, der alles versucht hatte, um die Erleuchtung zu erlangen, und es nicht geschafft hatte – bis er sich unter einen Baum setzte und aufgab.
Das Hörbuch ging noch weiter, Quest sagte: „Und dann… ist es geschehen.“ „Was? Was ist geschehen?“, fragten die anderen, „Ist dir Gott erschienen?“
Und so ging die Geschichte weiter:

„Gott…“. Quest sprach das Wort aus, als würde er es schmecken. „Nein. Ich glaube nicht. Oder vielleicht doch. Wir irren uns alle völlig, das weiss ich jetzt. Die Wahrheit ist unfassbar anders, als wir denken.
Ich habe eine andere Welt gesehen. Oder ich habe diese Welt gesehen, nur mit anderen Augen. Wenn ich euch nur sagen könnte, was ich gesehen habe! Es ist alles so viel gewaltiger, als wir es uns auch nur erträumen können. Die Wahrheit ist so wunderbar, dass es einen umbringen kann, sie zu erfahren.“
Urplötzlich lachte er auf, lachte laut und lauter, brüllte beinahe, während sie ihn entsetzt beobachteten. Dann beruhigte er sich wieder, fand zu einem gelösten, heiteren Lächeln zurück, wie man es auf seinem Gesicht noch niemals gesehen hatte.
„Ihr werdet das nicht verstehen, aber ich muss es euch doch sagen. Das Leben ist absurd, unsere ganzen Ambitionen, unsere ganzen Enttäuschungen sind lächerlich, unsere Schmerzen sind lächerlich, sogar ich selbst“, fügte er hinzu und zuckte förmlich vor Heiterheit, „bin absolut lächerlich.“
„Ich glaube, ich will auch da hinunter fliegen“, entfuhr es einem der Männer.
„Das könnt ihr tun“, sagte Quest mit einem seltsam unersten Ernst. „Aber glaubt mir, man kann Gott nicht besuchen, eine Tasse Tee mit ihm trinken, sich nett mit ihm unterhalten und dann wieder seiner Wege gehen. Denkt daran: Dort hinab zu gehen, bedeutet, sein Leben einzubüssen, ohne zu wissen, was danach kommt.“

Ich war tief berührt. Alles Weisheiten, die ich längst kannte. Aber offenbar war es nötig, dass mich jemand wieder einmal daran erinnerte.
Hör auf zu wollen! Hör auf zu planen! Gib dem Göttlichen die Chance, dich zu führen, zu dem, was gut für dich ist, ohne dass du die Richtung vorgeben willst! Lass los! Vergiss nicht, dass du mit Gott eine Tasse Tee getrunken hast – du kannst nie wieder einen anderen Weg gehen.

Als ich später am Strand barfuss dem Wassersaum entlang ging, erklangen diese Erkenntnisse in mir, nicht im Kopf, sie schwangen in meiner Seele. Seit langem hatte ich nicht mehr diesen Frieden in mir gefühlt, diesen Gleichmut, dieses Loslassen.
Und in dieser Hingabe, in der absoluten Stille meiner Gedanken, waren plötzlich all die Antworten in mir, nach denen ich wochen- und monatelang gesucht hatte.

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Der Fluss des Lebens

Gestern traf ich in der vorösterlich elendlangen Schlange vor der Kasse des Supermarkts eine alte Bekannte, die vor einigen Jahren ihren Mann verloren hat. Sie erzählte mir, wie sehr sie ihn immer noch vermisst, gerade an solchen Festtagen.
Auf meine Frage, ob sie keinen neuen Partner habe, antwortete sie: „Das will ich nicht, das kommt für mich nicht in Frage, niemals. Dafür respektiere ich meinen verstorbenen Mann zu sehr.“

In diesem Moment war ich an der Kasse an der Reihe und wir konnten das Gespräch nicht sofort fortführen. So hatte ich Zeit, meinen Gedanken nachzugehen.
Mein erster war: Hm, hat das wirklich mit Respekt zu tun? Ein Lebensabschnitt ist mit dem Tod des Partners zu Ende gegangen, ein neuer folgt, das ist der Fluss des Lebens. Dürfen wir uns an Vergangenem festklammern?

Dann fiel mir ein, dass sie etwa 40 Jahre lang mit ihrem Mann zusammen gewesen war und inzwischen auch schon einiges über 60 sein musste. Nach dieser langen gemeinsamen Zeit ist es bestimmt nicht mehr so einfach, das Alte loszulassen. Vielleicht fehlt auch der Glaube, nochmals einem ebenso guten Mann begegnen zu können. Wohl spielt auch die Angst vor einer neuen Beziehung, wenn man ein Leben lang mit dem gleichen Partner zusammen gewesen ist.

Dennoch konnte und kann ich dieser Treue über den Tod hinaus nichts abgewinnen. Allerdings respektiere ich selbstverständlich ihre Entscheidung und ihren Weg. Zweifellos spricht und handelt sie so, wie sie es in sich spürt. Das ist auf jeden Fall gut und richtig.

Und ich habe mehr als einmal am eigenen Leib erfahren, dass solche Grundsätze und „Prognosen“ für die eigene Zukunft von einer Minute auf die andere ins Gegenteil gekehrt werden können, wenn das Göttliche etwas anderes mit einem vorhat. :mrgreen:

Wichtig ist, dass wir in solchen Momenten, in denen das Göttliche uns mehr oder minder sanft in eine andere Richtung lenken will, nicht versuchen, gegen den Strom zu schwimmen, unsere festgefahrenen Überzeugungen und Dogmen loslassen, dem Fluss des Lebens folgen und uns von unserem Urvertrauen tragen lassen.

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