Eine Aufgabe für Gleichmut

Gleichmut ist neben Urvertrauen und Hingabe an das Göttliche eine der wichtigsten Eigenschaften auf dem spirituellen Weg. Zudem verhilft uns der Gleichmut auch zu einem zufriedeneren Leben im Diesseits. Deshalb heute eine Aufgabe, um unseren Gleichmut zu üben.

• Ich begebe mich an einen Ort, der mir optisch nicht gefällt. Beispiele: eine viel befahrene Strasse, ein bestimmter Raum eines Gebäudes, vor ein Bild oder Denkmal, eine schmuddelige Parkbank; wenn mir nichts einfällt, spaziere ich einfach durch die Stadt, bis ich auf etwas treffe, was mir hässlich oder abstossend scheint.
• Ich schaue dieses Bild an, schaue es genau an, bis ich ein Detail entdecke, das ich als schön empfinde (und sei es nur ein Farbtupfer, ein winzig kleines Teil des Ganzen, z.B. an einer alten schmutzigen Hausfassade ein Riss in der Form eines fröhlich auffliegenden Vogels; am Rande der viel befahrenen Strasse ein einzelner Grashalm, der den Asphalt durchbohrt hat; usw.).
• In dieses Detail vertiefe ich mich, dann weite ich meinen Blick wieder auf das Ganze aus und versuche es gleichmütig zu betrachten, es nicht mehr als hässlich zu werten.
• Noch einmal schaue ich das „schöne“ Datail an und versuche, darin keinen Gegensatz zum Ganzen zu empfinden, es nicht als schöner zu werten.
• Ich mache mir bewusst, dass ich jenseits jeglicher Wertung stehe; ich nehme nichts Hässliches mehr wahr, auch nichts Schönes, ich sehe überall nur das Eine.

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Wenn du wachsam bist…

… ist das Leben ein spannendes Abenteuer. Ständig begegnen dir Menschen, die dir etwas zu sagen haben, selbst wenn sie nicht mit dir sprechen. Laufend erlebst du Ereignisse, die voller Bedeutung für dich sind, sobald du hinter ihre Äusserlichkeit schaust. Immer zieht sich ein roter Faden durch dein Leben und wenn du ihm aufmerksam folgst, entdeckst du jeden Tag in den Herausforderungen die Chance, innerlich zu wachsen, in den glücklichen Augenblicken die Geschenke der Gnade, in den Momenten tiefster Traurigkeit das Tor zu dir selbst und in unerträglichem Schmerz eine tröstende, helfende Hand, bereit dir alle Last abzunehmen.

Wenn du wachsam bist, macht alles Sinn. Nichts ist Zufall, was dir widerfährt, nicht die Ereignisse, die du als angenehm empfindest, noch die, welche dir Kummer machen. Das Leben verschwendet keine Zeit und verpasst keine Gelegenheit dir etwas beizubringen, dir die Richtung zu weisen, dich auf den Weg zurückzuführen, wenn du dich verirrt hast. Solange du glücklich bist, tief innen zufrieden, brauchst du an deinem eingeschlagenen Weg nichts zu ändern. Aber wenn du leidest, ist es das untrügliche Zeichen, dass du in deinem Leben etwas ändern musst – und sei es nur die innere Einstellung dem Schmerz gegenüber, indem du lernst, dass alle Gegensätze nur Illusion sind: Kälte und Hitze, Hunger und Sättigung, Krankheit und Gesundheit, Armut und Reichtum, Freud und Leid, alle sind sie nur Ausdruck des Einen, und es gibt keinen Grund, das eine zu mögen und das andere zu hassen.

Wenn du wachsam bist, erkennst du in allem Symbole und Zeichen. Du nimmst sie wahr und bemühst dich, sie zu deuten und zu verstehen; selten gelingt es dir sofort, manchmal erst nach Jahren, oft gar nicht. Aber du weisst auch, dass selbst Deuten und Verstehen nicht wichtig sind, wenn du darauf vertraust, dass das Göttliche dich führt und lenkt und in jedem Augenblick deines Lebens für dich sorgt.

Wenn du wachsam bist, siehst du dieses dein Leben als eine Etappe auf einer unendlich langen Wanderung; was bereits hinter dir liegt, hast du vergessen, was dir noch bevorsteht, kennst du nicht. Von den Hindernissen, die du auf deinem Weg findest, weisst du nie, ob sie deinen Mut und deine Kraft fördern wollen, indem du sie überwindest, oder ob sie dich zur Umkehr ermahnen. Und wenn du eine prachtvoll bunte, duftende Blumenwiese erreichst, bist du nicht sicher, ob sie dich zum Pflücken einlädt oder deine Enthaltsamkeit gegenüber der Versuchung prüfen will. Aber du weisst, dass – wie immer du auch entscheidest – weder das eine falsch noch das andere richtig ist. Du vertraust darauf, dass alles stets zu deinem Besten geschieht.

Wenn du wachsam bist, nimmst du deine Wanderung durchs Leben leicht, ob der Pfad steil, steinig ansteigt oder sanft über blühende Wiesen führt. Und du freust dich ebenso über süsse Heidelbeeren am Wegrand und die frische Quelle wie über den verstauchten Fuss und die schmerzenden Knie.

Wenn du wachsam bist, erkennst du, dass diese Welt und dieses Dasein keine Illusion sind, denen zu entfliehen es gilt, sondern dass sie das liebevolle Werk des Göttlichen sind und dass sein Geist allem – dem Schiefer, der Alpenrose, dem Steinbock, dem Hirtenjungen, aber auch der Seilbahn zum Gipfel und dem Flugzeug, das über den Bergen kreist – innewohnt. Und du siehst, dass sie zwar noch nicht vollkommen, jedoch auf dem Weg zur Vollkommenheit sind, und du weisst: Nicht indem du andere änderst, trägst du zum grossen Werk bei, sondern nur wenn du an deiner eigenen Vollkommenheit arbeitest.

Wenn du wachsam bist, ist das Leben ein Schauspiel, in welchem dir die Hauptrolle zugeteilt ist. Für dich ist nur deine eigene Rolle von Bedeutung, nur in ihr kannst du dich verwirklichen, nur dank ihr kannst du dich entwickeln. Du bist Akteur in einem Stück, dessen Bühne die ganze Welt ist und dessen Ablauf nur der Grosse Regisseur kennt, der das Drehbuch auch geschrieben hat. Deine Aufgabe ist es, seinen Anweisungen in der Stimme deiner Seele zu folgen und deine Rolle so gut wie möglich zu spielen – ganz gleich, welche es gerade ist, die eines Bettlers oder die eines Königs, die eines unbeschwerten Kindes oder die eines sterbenden Greises.

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Der Tod – immer ein unerwarteter Gast

Das Thema meines letzten Beitrags lässt mich noch nicht los. Von einem gewissen Alter an kommt es nun einmal immer häufiger vor, dass wir geliebte Menschen durch Tod verlieren. Deshalb noch einige weitere Gedanken dazu.

Tagtäglich kommen wir mit dem Tod in Berührung: Wir lesen in der Zeitung, sehen im Fernsehen Bilder von Toten durch Unfälle, Naturkatastrophen, Verbrechen, Kriege; auch in unserem näheren oder weiteren Umfeld, im Bekanntenkreis oder am Arbeitsplatz, stirbt von Zeit zu Zeit jemand oder erleidet eine lebensbedrohliche Krankheit. Obwohl der Tod also allgegenwärtig ist, leben wir nicht wirklich Seite an Seite mit ihm: Sobald er an unsere eigene Türe klopft, erschrecken wir gewaltig und wollen nichts mit ihm zu tun haben.
Der Tod betrifft immer nur die anderen, wir rechnen nicht mit diesem unerwünschten Gast. Raubt er uns einen Menschen, der uns wirklich na­hesteht, sind wir völlig unvor­bereitet und müssen von Grund auf lernen, mit dem Schmerz und dem Verlust umzugehen.

Wäre es denn sinnvoll, mit dem Tod zu leben, bevor der Ernstfall tatsächlich eintritt? Ist es überhaupt möglich, ihn in der Theorie vorwegzunehmen, lernen mit ihm umzugehen, solange er nicht wirklich präsent ist? Stellt er nicht immer eine „Ausnahmesituation“ dar?
Vermutlich nützt uns eine gemachte Erfahrung, sei es in der Realität oder lediglich durch die gedankliche und emo­tionale Auseinandersetzung, für einen künftigen To­desfall nicht viel: Jeder ist etwas anderes und von Neuem unbekannt. Uns auf den konkreten Tod eines geliebten Menschen vorzubereiten, wird uns wahrscheinlich nicht gelingen.

Sinnvoller ist es – und das hilft uns bei jedem Verlust, ob durch Tod oder durch Trennung –, die Eigenschaften und Werte in uns aufzubauen und zu stärken, die uns in jeder Lebenssituation tragen: Urvertrauen, Gleichmut und die Hingabe an das Göttliche.

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Das Drama des Lebens

„Traurigkeit gehört zum Leben, Schmerz gehört zum Leben, Hochs und Tiefs gehören zum Leben…“ Solche und ähnliche Äusserungen hört man immer wieder.
Ja, Traurigkeit, Schmerz, Leid, Hochs und Tiefs gehören zum Leben, weil wir es zulassen! Doch es müsste nicht so sein.
Diese Aussage darf nicht gleichgesetzt werden mit der überheblichen Haltung derjenigen, die aus einer momentanen Position von Stärke und Wohlergehen all jene gnadenlos verurteilen, denen es schlecht geht: „Sie sind selber schuld… Jeder kann sein Leben selbst gestalten, man muss es halt in die Hand nehmen… Die sollen nicht so zimperlich, wehleidig, schwach sein…“
Nein: Schmerz, Leiden, Traurigkeit sind nicht selbst verschuldet. Niemand würde sich das antun, wenn er es zu verhindern wüsste! Aber die meisten Menschen wissen nicht, wie ihnen entgehen und daran leiden sie. Das war ja auch die Erkenntnis des Buddha, weshalb er eine Lösung gesucht und einen Ausweg gefunden hat.

Ist meine obige Aussage „Doch es müsste nicht so sein“ also unrichtig? Nein, nur ungenau. Ungeliebte Empfindungen wie Schmerz, Traurigkeit, aber auch Verletztheit, Frustration, Demütigung und andere existieren zweifellos. Sie haben stets eine auslösende Ursache. Diese (ein Ereignis, eine Situation usw.) ist jedoch an sich wertfrei, weder gut noch schlecht: Erst durch unsere Bewertung und unsere Reaktion darauf, wird sie für uns zu etwas Unangenehmem, Ungeliebtem, Unerwünschtem.
Damit sind wir beim Thema der Dualität: Die einen Dinge wollen wir und hängen an ihnen (z.B. Reichtum), die anderen wollen wir nicht (z.B. Armut) und versuchen folglich, sie zu meiden.
Gelingt es uns jedoch, sie ohne Bewertung zu betrachten, hören die ungeliebten Empfindungen auf zu existieren – die geliebten allerdings auch! Letzeres wollen viele Menschen nicht, sie hängen am „Drama des Lebens“ mit seinen Hochs und Tiefs und verschmähen die Möglichkeit, ihm durch Gleichmut und Nichtwerten zu entkommen.

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Verhaltensmuster – und das Gefühl zu scheitern

Verhaltensmuster, die in unserem Unbewussten eingraviert sind, hindern uns daran, wirklich wir selbst zu sein – denn wir handeln dabei nicht willentlich, sondern reagieren in einer bestimmten Situation automatisch, ohne zu denken und uns bewusst für eine Verhaltensweise entscheiden zu können.
Ich greife dieses Thema heute auf im Zusammenhang mit meinem Beitrag „Den Pfeil herausziehen!“ zum Thema, wie wir mit Verletzungen umgehen können. Aber natürlich gelten die folgenden Aussagen für jede Gewohnheit und jedes Muster, die wir loswerden wollen.

Es kann schon frustrierend sein, wenn man erkannt hat, dass man eine Gewohnheit ändern möchte, und, ohne es zu wollen, hat man schon wieder falsch gehandelt – und das passiert tausend Mal! Was können wir denn konkret gegen diese Entmutigung tun?
Wer es schon einmal erlebt hat (und das haben die meisten im einen oder anderen Fall), soll sich daran erinnern: Wie beglückend war es doch, als es mir einmal gelungen ist! Wie habe ich mich stark und siegesgewiss gefühlt! Und sich dann sagen: Wer es einmal schafft, schafft es auch ein zweites und ein drittes Mal und immer wieder.
Wir sollen uns an den Erfolgen festhalten und aufrichten und den Blick nicht zum vermeintlichen Scheitern wenden! Es gibt wirklich ganz wenige Gesetzmässigkeiten auf dem Lebensweg, doch die folgende ist sicher, darauf können wir uns absolut verlassen: Wenn der klare Entschluss vorhanden ist, werden wir es schaffen – irgendwann. Die Zeit ist völlig unbedeutend…
Und noch etwas allgemein Gültiges: Frustration, Entmutigung, Verzweiflung, Depression sind starke negative Kräfte, die lähmen und sozusagen darauf abzielen, dass wir unsere innere Entwicklung aufgeben. Sie müssen mit all unserer Einsicht und all unserer Willenskraft besiegt werden und dem Gleichmut weichen.

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Wertungen…

In Indien wird oft durch Geschichten gelehrt – wie im Sufismus übrigens auch. Ebenfalls in anderen Kulturen und zu allen Zeiten dienten sinnbildliche Erzählungen dazu, Erkenntnisse auf liebevolle Weise zu vermitteln. Hier eine Geschichte aus dem alten Griechenland.

Der Fabeldichter Aesop sass einmal am Rand der Strasse nach Athen. Ein Mann, der vorbeikam, fragte ihn: „Wie sind denn die Menschen in Athen?“
Aesop fragte ihn: „Sag mir zuerst, woher du kommst und wie die Leute dort sind.“
Der Reisende sagte: „Ich komme aus Argos. Die Menschen dort lügen, stehlen, sind ungerecht und streitsüchtig. Ich bin froh, von dort wegzukommen.“
„Ja, schade für dich“, antwortete Aesop, „du wirst in Athen ebensolche Leute finden.“
Etwas später kam ein anderer Reisender vorbei und stellte die gleiche Frage. Auch bei ihm erkundigte sich Aesop nach seiner Herkunft und den Bewohnern seiner Stadt. Der Mann antwortete: „Ich komme aus Argos. Alle Menschen dort sind sehr nett, freundlich, ehrlich und gerecht. Ich ziehe wirklich ungern von dort weg.“
Da lächelte Aesop und sagte: „Du wirst in Athen die gleiche Art Menschen finden.“

Eine persönliche Erfahrung in den letzten Tagen (ihr findet sie hier) hat mich dazu bewogen, heute diese Geschichte wiederzugeben.
Die Dinge, Menschen, Situationen sind weder gut noch schlecht. Einzig unsere Bewertung macht sie zu dem, was wir sehen (wollen), und diese hängt oft mit unserer eigenen inneren Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit zusammen. Finden wir die innere Zufriedenheit, die unabhängig von äusseren Umständen ist, so ist alles nur noch schön, angenehm, lieblich…

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Anhaftung und Loslassen

In der buddhistischen Lehre spielt die Anhaftung eine zentrale Rolle. Sie verursacht Leiden – das Nirwana, der radikale Ausweg aus dem Leiden, ist das Ziel des Buddhisten.
Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass alles vergänglich ist, jeder Gegenstand, jedes Lebewesen, aber auch jede Situation, jeder Zustand. Solange wir etwas Geliebtes besitzen, sind wir glücklich. Doch diesem Besitz wohnt die Möglichkeit, ja die Sicherheit inne, dass wir ihn irgendwann verlieren: Ein Gegenstand, an dem wir hängen, kommt uns abhanden oder geht kaputt, ein Mensch, den wir lieben, stirbt oder verlässt uns (oft empfinden wir ja schon kurzzeitige Trennungen als schmerzhaft). Auch haben wir alle schon erlebt, dass wir ein beglückendes Ereignis, beispielsweise der Besuch eines schönen Ortes oder eine angenehme Situation, wiederholen wollten, aber wie oft wurden wir dabei enttäuscht, weil es nicht mehr wie das erste Mal war!
Wir hängen an den Dingen, an den Menschen, an den Zuständen. Meistens sind wir nicht in der Lage, alles wie in einem Film zu betrachten, der ein, zwei Stunden dauert, zu Ende geht – und das wars! Er ist einfach fertig und wir leiden nicht deswegen. Im wirklichen Leben fällt uns das Loslassen enorm schwer; schon eine kleine Veränderung, die uns nicht passt, kann uns Traurigkeit und Schmerz verursachen.
Die Lösung kann nicht darin bestehen, überhaupt nichts mehr zu besitzen, keinen Menschen mehr zu lieben, keine Freude mehr an Schönem zu empfinden, da grundsätzlich nicht der Besitz und der Genuss das Leiden verursachen, sondern nur unsere Anhaftung daran.
Es gibt kein anderes Mittel gegen unsere Anhaftung, als das Loslassen ständig zu üben; ein grundlegender Gleichmut und das Vertrauen, dass alles, was uns geschieht, gut für uns ist und uns auf unserem Weg weiterführt, sind dabei die Eckpfeiler.
Mit den materiellen Dingen gelingt uns das schon bald ziemlich gut. Wir verlieren unser Halskettchen, das Portemonnaie mit viel Geld wird uns gestohlen, ein geschätzter Gegenstand geht kaputt: In diesen Fällen schaffen wir es meistens, den Verlust anzunehmen und den Dingen nicht nachzutrauern. Schon schwieriger ist es beim Davonlaufen der Katze oder dem Tod des Hundes. Und völlig frei von Leiden sind wir wohl nie, wenn ein geliebter Mensch von uns geht…

Ist ein Verlust bereits eingetreten, hindert der Schmerz uns daran, uns mit der Anhaftung auseinander zu setzen; dann sind wir nur noch damit beschäftigt, das Leiden zu verarbeiten. Die Schule gegen die Anhaftung sollte beginnen, wenn die Gegenstände oder Menschen noch bei uns sind: Solange wir sie „besitzen“, müssen wir lernen, uns an ihnen zu erfreuen, ohne an ihnen zu hängen und ohne ihren Verlust zu fürchten.
Sobald wir allerdings versuchen, innerlich, gefühlsmässig einen Menschen, der immer noch bei uns ist (den Partner, die Eltern, ein Kind), loszulassen und die Anhaftung abzubauen, meinen wir, eine gewisse Gleichgültigkeit und Leere zu empfinden, und es kommt uns vor, als liebten wir diesen Menschen nicht mehr. Unser Ego setzt nämlich Liebe mit Besitz gleich: Wenn es nicht mehr besitzen kann, so liebt es auch nicht mehr. In diesem Moment dürfen wir nicht aufgeben, nicht denken: „Besser mit Anhaftung lieben als gar nicht“. Es gilt diese Leere eine Weile auszuhalten: Wenn etwas wegfällt, entsteht ein Loch – nennen wir es lieber positiv „freier Raum“ –, der sich erst wieder füllen muss, was eine Zeitlang dauern mag. Gefüllt wird die von der egoischen Liebe hinterlassene Lücke mit der Liebe der Seele, dieser bedingungslosen Liebe, die nichts erwartet und nichts fordert – nicht besitzt, nicht anhaftet. Diesen freigewordenen Raum wieder zu besetzen ist zugegebenermassen ein langwieriges, hartes Stück Arbeit, das ständigen Übens in den Alltagssituationen bedarf: Die vermeintliche Gleichgültigkeit wird dabei in Fürsorge umgewandelt, die Distanz in Respekt – und langsam fühlen wir die wahre Liebe in uns wachsen.

Je früher wir mit den Bemühungen beginnen, die Anhaftung loszuwerden, desto eher sind wir dann bereit, wenn der geliebte Mensch uns verloren geht. Kommt es eines Tages zur Trennung – dazu kommt es unweigerlich, spätestens durch den Tod –, so werden wir dem Verlust vielleicht noch nicht völlig schmerzfrei, zumindest aber mit einem gewissen Mass an Gleichmut begegnen können.

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Das Nicht-Handeln im Handeln üben

Im vorangehenden Artikel vom 19. August war vom Nicht-Handeln im Handeln die Rede, davon, dass wir mit unserem Tun nicht bestimmte Ergebnisse anstreben sollen. Das betrifft selbstverständlich nicht nur unsere „grossen“ Taten, sondern auch die gewöhnlichen, banalen Alltagstätigkeiten. Darum geht es schliesslich, im Klartext: Keine Tat der anderen vorziehen; dem Prinzip von Lust und Unlust abschwören; immer tun, was gerade zu tun ist.
Das können wir in unserem Alltag, sowohl im beruflichen als auch im privaten, sehr gut üben: Wir tun in jedem Augenblick, was gerade getan werden muss. Ob im Haushalt, im Beruf oder in meiner Freizeit: Wenn ich sehe, dass etwas getan werden muss (und ich sehe es, alles andere sind faule Ausreden!), dann tue ich es, sofort und ohne Aufschub, mit Freude oder zumindest Gleichmut und immer so gut ich es kann. Beispiele:
• Der Rasen ist nachgewachsen – ich mähe ihn (und warte nicht zu, bis es dann regnet und ich nicht mähen kann!) und zwar gründlich, auch unter den Büschen, wo ich von Hand nachbessern muss.
• Es ist keine Milch mehr da – ich gehe einkaufen (und denke nicht: „Trinken wir den Kaffee halt für einmal ohne“).
• Das Ablagekistchen ist voll – ich ordne die Papiere und hefte sie ab (und meine nicht, eine andere Aufgabe sei wichtiger, weil sie mir lieber ist!).
• Das Bild hängt schief – ich gleiche es aus (und finde nicht, es hänge jetzt schon lange so, ich hätte mich bereits daran gewöhnt!), muss ich auch einen neuen Nagel einschlagen und das alte Loch zukitten.
• Auf dem Teppich entdecke ich einen Fleck – ich bemühe mich, ihn zu entfernen (und stelle nicht einen Blumentopf darauf!), auch wenn das Reiben anstrengend ist.

Alle Aufgaben, die gerade anstehen, seien es kleine oder gewichtige, leichte oder anstrengende, „beliebte“ oder „verhasste“: Ich erledige sie sofort, ohne dass man mich dazu auffordern muss, ohne sie aufzuschieben, ohne zu murren und ohne Unlust.

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Nicht-Handeln im Handeln

Was wir auch tun (oder lassen) im Leben: Es hat immer einen Grund – wir tun etwas „weil…“ – oder einen Zweck – wir tun etwas „um zu…“. Unser Handeln ist zielgerichtet, wir wollen damit etwas erreichen.
Erlangen wir das Ersehnte, ist alles gut, wir sind glücklich. Erlangen wir es jedoch nicht, sind wir unzufrieden, vielleicht auch frustriert, enttäuscht, wütend, deprimiert und mehr. Wir verurteilen uns selbst oder einen anderen oder die widrigen Umstände, hadern gar mit dem Schicksal oder fühlen uns schuldig, unfähig, wertlos. Möglicherweise war unser Bemühen zum Erreichen des Ziels schon von Stress, Kampf, Ängsten und anderen unangenehmen Erscheinungen begleitet.
„So ist halt das Leben!“, sagen wir oft. „Ein Auf und Ab.“

So muss das Leben aber nicht sein. Das Geheimnis liegt im uneigennützigen Handeln. Uneigennützig heisst: Wir streben keinen eigenen Nutzen an bei dem, was wir tun. Auch keinen Nutzen für andere Menschen – uneigennützig darf nicht als altruistisch missverstanden werden. Wir streben mit unseren Taten überhaupt nichts an, weder für uns selbst noch für andere. Es kann auch als selbstloses Handeln bezeichnet werden: selbst-los = ohne dass unser Selbst (oder Ego) mitwirkt. Wie es in der Bhagavad Gita steht:

Du hast ein Recht auf das Handeln, aber nur auf das Handeln, niemals auf dessen Früchte; lass nicht die Früchte deines Wirkens dein Beweggrund sein, noch lass Anhaftung zur Tatenlosigkeit in dir zu.
Fest gegründet im Yoga [= spiritueller Weg], vollbringe deine Taten als einer, der jegliche Anhaftung aufgegeben hat und gleichmütig geworden ist im Misslingen und im Erfolg; denn Gleichmut wird im Yoga angestrebt.
Bhagavad Gita II, 47 f.

Wir tun also in jedem Augenblick was gerade zu tun ist, was wir im Moment für richtig halten, und lassen dann los. Wie das Ergebnis unseres Handelns auch ausfällt, wir nehmen es gleichmütig an. Dieses „Es sollte halt nicht sein“ hat nichts mit Resignation zu tun, sondern mit unserem Bewusstsein, dass wir immer das bekommen, was gut für uns ist. Gut in einem übergeordneten Sinne, nämlich gut für unsere innere Entwicklung, gut um etwas zu lernen – und darüber freuen wir uns.

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Christliches Karma-Yoga

Wer denkt, Karma-Yoga sei eine rein hinduistische Lehre, sollte einmal das kleine Büchlein von Bruder Lorenz* „Allzeit in Gottes Gegenwart“ lesen (bitte all die Aussagen über Schuld und Sünde übergehen!). Ein Zitat daraus:

Ebenso ergehe es ihm auch in seiner Küche. Gegen sie habe er von Natur die grösste Abneigung gehabt; nachdem er sich aber einmal daran gewöhnt gehabt habe, auch dort alles aus Liebe zu Gott zu verrichten und Ihn bei jeder Gelegenheit um Seinen Gnadenbeistand zu der Ausführung seiner Arbeiten anzuflehen, sei ihm während der vierzehn Jahre, die er in der Küche beschäftigt gewesen sei, alles sehr leicht gefallen.
Sein jetziges Geschäft sei, Schuhe zu sohlen und zu flicken, was er mit grosser Befriedigung und mit Vergnügen tue; doch sei er bereit, auch diese Arbeit zu verlassen wie alle anderen, weil er bei jeder Arbeit nichts anderes tue, als dass er sich freue, irgendwelche geringen Dinge aus Liebe zu Gott tun zu dürfen.
Es gebe bei ihm keinen Unterschied zwischen der Zeit des Gebets und der übrigen Zeit. Er halte zwar seine Absonderungen oder stillen Gebetszeiten, wenn der Pater Prior ihm sage, er solle das tun, sonst aber begehre und verlange er es nicht; er suche es auch darum nicht, weil seine grösste Arbeit ihn keineswegs von Gott abziehe.

Unsere Heiligung bestehe nicht in Veränderung unserer Werke, sondern darin, dass wir um Gottes willen verrichten, was wir für gewöhnlich um unserer selbst willen tun.
Bruder Lorenz: Allzeit in Gottes Gegenwart, Verlag Ernst Franz, Seite 86-87 und 93

Alle Werke dem Göttlichen weihen, keinen Unterschied machen zwischen „geliebten“ und „verhassten“ Tätigkeiten, alles stets so gut wie möglich tun – reines Karma-Yoga spricht aus Bruder Lorenz‘ Worten!

*Laurentius von der Auferstehung, französischer Karmelitermönch des 17. Jahrhunderts

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